Reichsgericht. 389
Verbrechens oder Vergehens, das Hauptverfahren gegen das Mitglied eröffnet ist.
Die Eröffnung der Voruntersuchung bleibt mithin auf die Amtsführung des Mit-
gliedes einflußlos, falls nicht schon im Laufe der Voruntersuchung die Untersuchungs-
haft verhängt wird. Denn diese zieht in allen Fällen, ohne Plenarbeschluß des R.,
die „vorläufige Enthebung von Rechtswegen nach sich"“. Ist aber die Untersuchungs-
haft nicht verhängt worden, so wird die Frage, ob wegen stattgehabter Eröffnung
des Hauptverfahrens, die vorläufige Enthebung vom Amte auszusprechen sei, mit
Rücksicht darauf zu erörtern und zu entscheiden sein, ob das eröffnete Hauptverfahren
zu einer rechtskräftigen Verurtheilung führen dürfte, in deren Folge das Mitglied seines
Amtes und Gehaltes für verlustig erklärt werden müßte. Die „vorläufige Enthebung
vom Amte“ berührt nicht das Recht auf den Genuß des Gehaltes.
Die Zuständigkeit des R. ist mit Rücksicht darauf geregelt, daß dasselbe
das höchste Gericht des Deutschen Reiches ist, sowie mit Rücksicht darauf, daß dasselbe
berufen ist, die Rechtseinheit innerhalb des Deutschen Reiches zu wahren.
Da das R. das höbchste Gericht des Deutschen Reiches ist, so sind seine Ent-
scheidungen in allen Fällen Entscheidungen der letzten Instanz, wennschon diese
letzte Instanz bald die erste, bald die zweite, bald die dritte Instanz sein kann.
I. Zuständigkeit des R. in erster Instanz. Diese findet nur in Straf=
sachen statt, und zwar für die Fälle des Hochverraths und des Landesverraths, in-
sofern diese Verbrechen gegen den Kaiser oder das Reich gerichtet sind (Straf-G.
§8§ 80—93). Das R. ist in diesen Fällen sowol Untersuchungsgericht wie auch
erkennendes Gericht. Als Untersuchungsgericht fungirt der erste Strafsenat, und als
erkennendes Gericht der vereinigte zweite und dritte Strafsenat (GV. § 138).
Diese Zuständigkeit des R. hängt zusammen mit Art. 75 der Verfassung für das
Deutsche Reich. Dort war bestimmt: „Für diejenigen im Art. 75 bezeichneten
Unternehmungen gegen das Deutsche Reich, welche, wenn gegen einen der einzelnen
Bundesstaaten gerichtet, als Hochverrath oder Landesverrath zu gualifiziren wären,
ist das gemeinschaftliche OApp. Ger. der drei freien und Hansestädte in Lübeck die
zuständige Spruchbehörde in erster und letzter Instanz. Die näheren Bestimmungen
über die Zuständigkeit und das Verfahren des OApp.Ger. erfolgen im Wege der
Reichsgesetzgebung. Bis zum Erlasse eines Reichsgesetzes bewendet es bei der seit-
herigen Zuständigkeit der Gerichte und den auf das Verfahren dieser Gerichte sich
beziehenden Bestimmungen.“ Diejenigen Reichsgesetze, durch welche das OApp. Ger.
zu Lübeck in Funktion gesetzt wäre, sind nicht erlassen worden. Durch § 136 des
GV. ist Art. 75 der Verfassung für das Deutsche Reich außer Kraft gesetzt worden,
ebenso wie schon früher Art. 74 durch die Publikation des Straf GB. außer Kraft
gesetzt wurde. In denjenigen Sachen, in denen das R. als Strafgericht erster
Instanz fungirt, tritt die Justizhoheit des Reiches auch darin zu Tage, daß alle
Gerichte und sonstige bei Führung der Voruntersuchung in Anspruch zu nehmenden
Behörden den von dem R. ausgehenden Weisungen als solchen nachzukommen ver-
pflichtet sind. Alle Beamte der Staatsanwaltschaft haben den Anweisungen des
Oberreichsanwalts Folge zu leisten (GVG. § 147). Wird der Untersuchungsrichter
von dem Präsidenten des R. aus der Zahl der Mitglieder bestellt, so ist jeder Amts-
richter verpflichtet, dem Ersuchen des Untersuchungsrichters um Vornahme einzelner
Untersuchungshandlungen nachzukommen. Der Präsident des R. kann aber auch
jedes Mitglied eines anderen Deutschen Gerichts und jeden Amtsrichter zum Unter-
suchungsrichter bestellen; sowie anordnen, daß jeder von ihm hierzu bestimmte Richter
des Deutschen Reichs für einen Theil der Geschäfte des Untersuchungsrichters als
Vertreter desselben handele (StrafPp O. § 184). Diesen Anordnungen des Präsidenten
des R. muß nachgekommen werden. Ob und welchen Einfluß eine solche An-
ordnung des Präsidenten des R. auf den Geschäftsgang der Landesgerichte ausüben
möchte, in welcher Weise an diesen Stellen für etwaige Vertretungen u. s. w. Sorge
zu tragen ist, das ist lediglich Sache der Landesjustizverwaltung. Der von dem