Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

34 Perloulum. 
In diesem Falle sowie bei fortgesetzter Unschlüssigkeit der Mutter 
bleibt dem Geburtshelfer keine andere Wahl, als mittels der P. wenigstens die 
Mutter auf Kosten des kindlichen Lebens zu retten, weil er durch Unterlassung dieser 
Operation beide einem sichern Tode preisgeben würde. Es hat allerdings besonders 
in Deutschland nicht an hervorragenden Geburtshelfern gefehlt, welche die P. am 
lebenden Kinde unter keinen Umständen für gerechtfertigt erklärten, und noch in 
diesem Jahrhunderte haben sich z. B. Osiander und Schmidt in solchen Sinne aus- 
gesprochen, während man z. B. in England von jeher unbestritten das kindliche 
Leben als geringwerthiger im Vergleiche zum mütterlichen behandelt hat. Unter 
den maßgebendsten Gynäkologen der Jetztzeit herrscht dagegen auch in Deutschland 
Uebereinstimmung darüber, daß unter den oben bezeichneten Umständen sowie auch 
dann, wenn die Mutter nicht fähig zur Selbstentscheidung ist oder wenn aus irgend 
welchem Grunde der Kaiserschnitt keine Aussicht auf günstigen Ausgang für die 
Mutter bietet, die P. nicht blos eine erlaubte, sondern eine durchaus gebotene 
Operation sei. Alle leitende gynäkologische Autoren, Scanzoni, Veit, Schröder, 
Hohl u. s. w., sprechen sich nachdrücklich in dem genannten Sinne aus, der letzt- 
genannte mit dem treffenden Zusatze, daß in dieser wichtigen Angelegenheit dem 
Geburtshelfer keine andere Vorschrift als diejenige seines eigenen 
Gewissens gemacht werden könne. Gegenüber den prinzipiellen Bedenken sowol 
rechtlicher wie moralischer Natur, welche man gegen die überlegte Tödtung eines 
Kindes durch die P. erhoben hat, ist vor Allem zu berücksichtigen, daß das Ver- 
fahren des Geburtshelfers gegen das Kind nicht getrennt von dem 
Verfahren gegen die Mutter betrachtet und beurtheilt werden 
kann. Der Anzt ist verpflichtet, Nichts zu versäumen, was die Mutter retten kann, 
und wenn dies Rettungswerk nur unter künstlicher Verkürzung des im Wege stehen- 
den und unter den gegebenen Umständen doch dem Tode nicht mehr zu entziehenden 
kindlichen Lebens möglich ist, so wird die Hinwegräumung dieses Hindernisses zur 
gebieterischen Gewissenspflicht. Praktisch wird die Frage der Zulässigkeit einer einzelnen 
stattgefundenen P. nur in den allerseltensten Fällen einer nachträglichen konkreten 
Prüfung fähig sein, da hierbei eine Menge von Umständen in Betracht kommen 
würde, welche nur dem Geburtshelfer selbst im Momente des Entschlusses und 
Handelns klar vor Augen lagen, einer späteren Konstatirung und Abschätzung aber 
sich mehr oder weniger entziehen. Die Verfolgung eines Geburtshelfers wegen un- 
berechtigter Ausübung der P. liegt daher thatsächlich fast außerhalb des Bereiches 
praktischer Vorkommnisse. Nur in dem Falle, daß nachweislich kein solches Miß- 
verhältniß zwischen Umfang des kindlichen Kopfes und Weite des muütterlichen 
Beckenausganges bestanden hätte, welches die Extraktion des unversehrten Kindes 
unmöglich machte, würde den Geburtshelfer der moralische Vorwurf und die straf- 
rechtliche Folgewirkung einer Tödtung aus Fahrlässigkeit treffen. 
Lit.: Mittermaier, Ueber die Grenzen und Bedingungen der Straflosigkeit der P., 
im Neuen Archiv für Kriminalrecht, Bd. VIII., Halle 1826. — H. F. Meyer, Hat die 
Mutter oder die Frucht bei einer Kollision des Lebens mehr Recht auf Schonung von Seiten 
der Kunsthülfe? Würzburg 1845. — Verhandl. der Gesellschaft für Geburtshülfe in Berlin, 
1846, S. 24—32 (über die Frage, ob man ein lebendes Kind perforiren dürfe oder nicht?. — 
Fente# Zeitschr. für gerichtl. Med. 1851, S. 296 ff. — Churchill, Die P. des lebenden 
Fötus, im Dubliner Journal Nr. Ll., 1858, S. 1 ff. — Hohl, Lehrbuch der Geburtshülfe, 
Leipz. 1862. Finkelnburg. 
Periculum (Gefahr) wird von den Quellen in sehr verschiedenen Beziehungen 
gebraucht. Vgl. darüber Fr. Mommsen, Beiträge, I. S. 237—241. Vorzugs- 
weise bezeichnet bei Obligationen die Wendung res periculo alicuius est oder p. ad 
aliduem pertinet den Nachtheil, den ein die geschuldete Sache treffendes zufälliges 
Ereigniß, insbesondere der Untergang derselben, für eine Partei zur Folge hat; und 
zwar heißt es so vom Schuldner der Sache, wenn er durch ihren Untergang nicht
	        
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