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ersten Statthalter Freiherrn v. Manteuffel persönlich übertragen. Als Delegirter
Kaiserlicher Rechte ist der Statthalter unverantwortlich. Auf diesem Gebiete bedürfen
daher seine Erlasse behufs Uebernahme der konstitutionellen Verantwortlichkeit einer
ministeriellen Gegenzeichnung durch den Staatssekretär (§ 4 Abs. 1 des Gesetzes).
2) Der Statthalter an Stelle des Reichskanzlers. De juore lag
die oberste Leitung der gesammten Landesverwaltung in den Händen des Reichs-
kanzlers, welcher auch die konstitutionelle Verantwortung hierfür dem Bundesrath
und Reichstag gegenüber trug. Ein Theil davon war bereits durch die Verordn.
vom 29. Januar 1872 auf den Oberpräsidenten übergegangen, während die dem
Reichskanzler verbliebenen ministeriellen Befugnisse auswärtige und militärische An-
gelegenheiten, Justiz (Ges. vom 14. Juli 1871, § 3), Verwaltung der indirekten
Steuern, Forstverwaltung (Ges. vom 30. Dez. 1871, § 1), Bergwesen (Ges. vom
16. Dez. 1873, §§ 164, 165), Vorbereitung der Gesetze und Berichterstattung an
den Kaiser (Ges. vom 9. Juni 1871, § 4) seit dem Stellvertretungsgesetz vom
17. März 1878 (R.G.Bl. S. 7) von den Vorständen des Reichsjustizamts und des
Reichskanzleramts für Elsaß-Lothringen ausgeübt wurden. Letzteres Amt sowie das
Oberpräsidium in Straßburg wurden aufgelöst und die Justizverwaltung des R.
dem Reichsjustizamt entzogen und alle ministeriellen Pflichten — einschließlich der
konstitutionellen Verantwortlichkeit — und Rechte dem Statthalter übertragen.
Dieser hat somit in Elsaß-Lothringischen Angelegenheiten die Stelle eines verant-
wortlichen Ministers und kann sich in dieser, wie der Reichskanzler es nach Maßgabe
des Gesetzes vom 17. März 1878 konnte, durch den Staatssekretär vertreten lassen.
Dem Landesausschuß gegenüber ist eine Verantwortlichkeit nicht begründet.
3) Der Statthalter an Stelle des Oberpräsidenten hat die durch
das Ges. vom 30. Dez. 1871, § 10 geschaffenen außerordentlichen Vollmachten bei
Gefahr für die öffentliche Sicherheit. (Die Ansicht von Stengel in den Annalen des
Deutschen Reichs 1878, S. 1183 ff., daß § 10 durch Einführung der RVerf. in Elsaß-
Lothringen aufgehoben sei, beruht auf der falschen Ansicht, daß Art. 68 der RVerf. die
landesgesetzlichen Vorschriften über den Belagerungszustand außer Wirksamkeit gesetzt habe.)
B. Die Centralverwaltung wird unter dem Statthalter durch ein
Landesministerium geführt, an dessen Spitze ein Staatssekretär steht und welches
in Abtheilungen unter der Leitung von Unterstaatssekretären zerfällt (§ 6) und dessen
Beamte sämmtlich Landesbeamte sind. Das Ministerium gilt im Sinne des Be-
amtengesetzes als oberste Landesbehörde und ist insofern an die Stelle des Bundes-
raths getreten (Ges. § 8). Im Uebrigen ist die Organisation des Ministeriums
durch die Verordn. vom 23. Juli 1879 erfolgt; danach zerfällt letzteres in vier Ab-
theilungen: Inneres nebst Kultus und Unterricht, Justiz, Finanzen und Domänen,
Gewerbe nebst Landwirthschaft und öffentlichen Arbeiten. Die Ressorts sind jedoch
nicht selbständig nebeneinander wirkende Behörden, vielmehr alle der oberen Leitung
des Staatssekretärs untergeordnet, welcher alle Entscheidungen trifft und sich in den
Abtheilungen oder im Plenum oder blos vom Referenten allein jede ihm beliebige
Angelegenheit zum Vortrag vorlegen lassen kann.
C. Der Staatsrath. Der Französische conseil d'état hatte in der bis-
herigen Organisation von Elsaß-Lothringen keinen vollen Ersatz gefunden; der
recours comme d’abus war auf den Bundesrath, die Verwaltungsbefugnisse auf den
Oberpräsidenten, die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf den Kaiserlichen Rath in Elsaß-
Lothringen übergegangen (Ges. vom 30. Dez. 1871, §§ 8, 9; Stengel, in
Hirth's Annalen 1875, S. 1321 ff.; 1876 S. 808 ff., 897 ff.). Die weiteren
Befugnisse des Staatsraths wie die Entscheidung von Kompetenzkonflikten, die be-
gutachtende Thätigkeit, die Dekretur des rex in parlamento waren außer Wirksam-
keit getreten. Nach der neuen Verfassung wird unter dem Vorsitz des Statthalters
ein Staatsrath eingesetzt, welcher aus den Vorständen des Ministerium, dem Prä-
sidenten und Oberstaatsanwalt beim Oberlandesgericht, drei auf Vorschlag des Landes-