Reichs= und Staatsangehörigkeit. 415
die eigenen Angehörigen von sonstigen Norddeutschen trennte. Vor allen Dingen
blieben auch die Indigenatsgesetze der Einzelstaaten maßgebend für die Voraus-
setzungen, unter denen der Erwerb und Verlust des Landes= und Bundesindigenats
stattfand. ·
Je mehr nun aber durch die organische Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes auf
den verschiedensten wirthschaftlichen Gebieten der Bundesindigenat mit einheitlichem
positiven Inhalte erfüllt wurde, das Norddeutsche Bürgerrecht zu einem Inbegriff
materiell gleichartiger politischer und bürgerlicher Rechte sich gestaltete, die der Nord-
deutsche überall im Bundesgebiete geltend machen konnte, ohne zu fühlen, daß er sich
auf dem Boden eines Einzelstaates bewegt, um so mehr entstand das Bedürfniß
von Bundeswegen in einheitlicher Weise auch diejenigen Normen zu gestalten, welche
sich auf den Erwerb und den Verlust dieser Bundesangehörigkeit beziehen. Es wieder-
holte sich gleichsam für den Norddeutschen Bund derjenige Zustand, der auch in
Preußen der Abhülfe bedurfte. Da nun die Norddeutsche Bundesverfassung Fürforge
zur Befeitigung dieses Zustandes getroffen hatte, indem sie im Art. IV. auch die
Bestimmungen über Staatsbürgerrecht unter denjenigen Gegenständen aufzählt, auf
welche sich die Kompetenz des Bundes beziehen soll, so hat in Folge eines Reichs-
tagsbeschlusses vom 20. Mai 1869 das Bundespräsidium unterm 14. Febr. 1870
einen vom Bundesrathe beschlossenen Gesetzentwurf dem Reichstage vorgelegt, um
an Stelle der verschiedenen Territorialgesetzgebungen ein einheitliches nationales Recht
zu setzen. Das Resultat ist das Gesetz vom 1. Juni 1870 über die Erwerbung
und den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit, dessen Wirksamkeit am 1. Jan.
1871 beginnen sollte. Auf Grund der Versailler Verträge ist dasselbe dann von dem-
selben Zeitpunkte ab auch für Baden, Südhessen und Württemberg, aus Grund des
Gesetzes, betr. die Einführung Norddeutscher Bundesgesetze in Bayern, vom 22. April
1871, vom Tage der Wirksamkeit dieses Gesetzes an auch für Bayern, endlich auf
Grund des RGes. vom 8. Jan. 1873 auch für Elsaß-Lothringen in Kraft getreten.
In dem auf Bayern bezüglichen Gesetz vom 22. April 1871 sind übrigens einige
redaktionelle Aenderungen des Gesetzes vom 1. Juni 1870 erfolgt.
II. Das geltende Recht. A. Der Erwerb der R.= und S. Wie in
jedem Bundesstaate, so giebt es auch gegenwärtig in Deutschland ein doppeltes
Bürgerrecht, das Reichs= und das Staatsbürgerrecht, da sowol das Reich wie die
Einzelstaaten unmittelbare Unterthanen, je nach der Abgrenzung der Kompetenz
zwischen Reich und Einzekstaaten besitzen. Es kann Jemand ebensowenig nur Staats-
bürger, als nur Reichsbürger sein, so daß selbst diejenigen Ausländer, welche im
Reichsdienste angestellt werden, eine bestimmte Staatsangehörigkeit erlangen. Und zwar
erscheint hinsichtlich des Erwerbs die Staatsangehörigkeit als das Prinzipale, die Reichs-
angehörigkeit als das Accessorium. Es wird Niemand zunächst Deutscher, sondern zu-
nächst Preuße, Sachse 2c. Das Reich als solches tritt bei dem Erwerbe der Reichsangehörig-
keit gar nicht in Aktion, die Reichsangehörigkeit ist aber die natürliche und nothwendige
Folge der Staatsangehörigkeit. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit erfolgt:
1) Durch Abstammung von Deutschen Eltern, der weitaus häufigste Fall; und
zwar ist es dabei gleichgültig, ob die Abstammung eine eheliche oder uneheliche
war, nur daß im letzteren Falle die Staatsangehörigkeit der Mutter entscheidet. In
Uebereinstimmung mit dem früheren Preußischen Recht, mit der Gesetzgebung der meisten
Deutschen Staaten, sowie der von Frankreich, Italien und Belgien ist übrigens der
Grundsatz aufgestellt, daß die Nationalität der Eltern auch dann entscheidet, wenn das
Kind etwa im Auslande geboren wurde (Code Nap. art. 10: Tout enfant né d'un
Français en pays étranger est Français), während das Angloamerikanische Recht
noch immer von dem mittelalterlichen Grundsatze, wonach die Kinder als Erzeugnisse
des Bodens erscheinen, sich nicht vollständig losgemacht hat; denn man hat in Eng-
land zwar neuerdings anerkannt, daß die von Englischen Eltern im Auslande ge-
borenen Kinder Engländer seien, man hält aber trotzdem ganz inkonsequenter Weise