Religionsgesellschaften. 423
einer Reihe von Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts ebenfalls festgestellte Recht
ist aber im Laufe der Zeit in einem Theile der Deutschen Landeskirchen verloren
gegangen; so ist jede Mitwirkung der Gemeinde bei der Besetzung der Pfarrämter
ausgeschlossen in Bayern, Kurhessen, Nassau, Hessen-Homburg, Bir-
kenfeld, Anhalt-Bernburg und theilweise in Anhalt-Dessau und
Mecklenburg-Strelitz. In Württemberg soll zwar seit 1855 bei Wieder-
besetzung des Amtes der Pfarrgemeinderath über das Vorhandensein besonderer, bei
der Besetzung der Stelle zu berücksichtigender Bedürfnisse und Verhältnisse vernommen
werden, aber darin liegt sicherlich nicht eine Anerkennung des votum negativum.
Dagegen besteht dasselbe meistens in Altpreußen (s. Allg. LR. Th. II. Tit. 11
§§5 325 ff. und wegen provinzieller Ausnahmen Jacobson, Preuß. evangelisches
Kirchenrecht, S. 364); in Hannover (hier Vokationsrecht, wie auch sonst
wol genannt, s. Bekanntmachung vom 7. Juni 1865) und im Königreich Sachsen,
wo jedoch der Kirchenvorstand Namens der Gemeinde und nicht diese selbst das Ein-
spruchsrecht auszuüben hat (Kirchenvorstandsordn. vom 30. März 1868 § 25).
Ferner kommt das votum negativum vor in Sachsen-Weimar, -Koburg, -Altenburg,
Schwarzburg-Rudolstadt und -Sondershausen, Braunschweig, in einem Theil von
Mecklenburg-Schwerin und den zu Mecklenburg-Strelitz gehörigen Gemeinden des
Fürstenthums Ratzeburg. Um die Gemeinde für die Abgabe ihres Votums näher
zu informiren, hat der in Aussicht genommene Kandidat in den meisten der er-
wähnten Länder, freilich nicht überall, vor derselben eine (sog. Probe-) Predigt zu
halten. Das Verfahren für die Aufnahme der demnächstigen Erklärung der Ge-
meinde ist verschieden gestaltet; über die zur Sprache gebrachten Einwendungen hat
demnächst die vorgesetzte Kirchenbehörde, gewöhnlich das Konsistorium, zu entscheiden.
Während da, wo die Gemeinde oder der Gemeindevorstand das Recht der Pfarrwahl.
(so z. B. in Oesterreich, in vielen, namentlich reformirten Gemeinden Preußens und
Hannovers) hat, ein votum negativum selbstverständlich undenkbar ist, kommt es
doch neben einem anderen Modus der Besetzung der Pfarrämter, nämlich neben dem
Dreier= oder Zweiervorschlag (der Präsentation von drei oder zwei Bewerbern an
die Gemeinde seitens des Patrons oder der Kirchenbehörde, üblich in Oldenburg,
Schleswig-Holstein und in einzelnen Gemeinden von Mecklenburg-Schwerin und
Strelitz) in der Weise vor, daß die Gemeinde von den Vorgeschlagenen einen oder
zwei rekusiren darf und die Kirchenbehörde je nach Umständen mit oder ohne Be-
rücksichtigung der Einsprache die Ernennung ausübt.
Da in der katkholischen Kirche allein die Geistlichen und nicht die Laien das
Recht an der Leitung der kirchlichen Angelegenheiten haben, so ist hier ein solches
Kecht der Gemeinde, welche lediglich Objekt der Mission des Klerus ist, nicht an-
erkannt.
Lit.: Vgl. die Zusammenstellung in Moser's Allg. Kirchenblatt für das evangelische
Deutschland, Fohre- 1855, S P. Hinschius.
Feligiunevrselligaften. Der Begriff R. ist ein moderner. In der vor-
reformatorischen Zeit gab es nur eine einheitliche Kirche; alle von der Lehre dieser
Einen Kirche abweichenden Religionsmeinungen fielen unter den strafrechtlichen Be-
griff der Häresie und die Bekenner von solchen demgemäß in kirchliche Strafen.
Nahm eine Häresie größere Dimensionen an, so wurde auch wol das Kreuz gegen
dieselbe gepredigt und die Unterdrückung mit Feuer und Schwert durchgeführt
(Albigenser). Aber auch die schärfste Strenge des Ketzerrechtes konnte nicht hindern,
daß thatsächlich sich eine Reihe von religiösen Gemeinschaften bildeten und erhielten,
deren Lehre mehr oder weniger von der offiziellen Kirche abwich. Rechtlich aber
existirte nur die Eine Kirche.
Seit 1526 hatten die Protestanten im Deutschen Reiche neben den Katholiken
staatsrechtliche Existenzberechtigung; erst der Westfälische Friede (1648) ordnete aller-
dings das Rechtsverhältniß definitiv. Danach waren im Deutschen Reiche aner-