Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

442 Repressalien. 
vermögen zum Staatsvermögen und läßt daher auch ersteres für die Schulden des 
Staates haften. Martens (V.R. 253) leitet aus der Hafstungspflicht der Un- 
terthanen mit Person und Vermögen für die Schulden und Verletzungen des Staates 
auch das an jenen zu übende R.recht ab, indeß soll jene Pflicht nur dann eintreten, 
wann eine Entschädigung möglich ist. Gegen die Rechtfertigung der R., namentlich 
gegen Groot's Motivirung tritt in neuester Zeit Massé (I. 13 ff.) auf, indem er 
es für ganz unstatthaft erklärt, daß man R. an den Gütern oder Forderungen der 
einzelnen Unterthanen einer schuldenden Nation übe, anstatt an denen der Nation 
(des Staates) selbst. Er hält überhaupt R. nur dann für rechtlich begründet, wenn 
sie zwischen den betreffenden Staaten vertragsmäßig als zulässig bezeichnet sind 
oder wenn sie als Retorsion (7) geübt werden, indem die Politik dann gestatte, 
was das Recht verbiete. Wir sehen die R. als ein nicht zu entbehrendes Glied in 
der Reihe der internationalen Rechtsmittel an, erachten aber für nothwendig, daß 
sie streng normirt und ihre Anwendung möglichst beschränkt werde. — Man unter- 
scheidet positive R., welche der verletzte Staat durch die Wegnahme von Sachen 
oder Verhaftung von Personen des verletzt habenden Staates ausübt, und nega- 
tive, welche in der Vorenthaltung oder Verweigerung von Rechten oder in Nicht- 
erfüllung vertragsmäßiger Verpflichtungen bestehen (Martens, V.R., § 251; 
Klüber, § 234 not. c; Wheaton I. 275; Wurm, 479; Berner, 599) 
oder in Weigerung oder Erfüllung einer obligat. strict. jur. (im Gegensatze zu 
comity) (Phillimore III. 14). Klüber (I. c.) unterscheidet noch R. im wei- 
teren Sinne als jede Gewaltthätigkeit zur Genugthuungserlangung wegen erlittenen 
Unrechts, mit Ausnahme des Krieges, im engeren Sinne als Gewalthandlungen, 
wodurch der beleidigte Staat dem Beleidiger an= oder zugehörige Personen, Rechte 
oder Sachen (R. im engsten Sinne) zurückhält zum bezeichneten Zweck. Diese 
Distinktionen sind zu minutiös. Einige Autoren unterscheiden allgemeine und 
besondere R. in zwiefacher Weise. Zunächst in der, wonach allgemein keine 
Gewaltmaßregeln ausschließen oder die den Behörden und Unterthanen ertheilte 
unbeschränkte Vollmacht enthalten, Personen und Eigenthum des fremden Staates 
zu ergreifen, wo es auch sei, während besondere nur bestimmte Arten von Ge- 
waltmaßregeln gestatten (Wheaton, 1. c.; Berner, lI. c.). Entweder wird in 
der Anwendung der ersteren ein Uebergang in den Kriegsstand erblickt (Martens, 
V.R., § 257) oder sie werden als eine beim Anfange eines Krieges ergriffene 
Maßregel charakterisirt (Wheaton, J. c.) oder nach de Witt und Kent (I. 70) 
mit dem Kriege selbst für identisch gehalten (s. auch Jefferson's Proposition zur 
Zeit des Kontinentalsystems bei Manning, 115 ff.). General reprisals verfügte 
England im orientalischen Kriege gegenüber Rußlands (des Monarchen, der Unter- 
thanen und Bewohner) Schiffen, Fahrzeugen und Gütern, so daß die Englische Flotte 
und (Kriegs-) Schiffe sich rechtmäßig derselben bemächtigen durften (ord. of counc. 
d. d. 29. März 1854, bei Phillimore, III. 13). Der Lord-Oberrichter Hale 
aber unterscheidet in seinen pleas of the crown (vol. I. 162 und 163) die gener. 
repris. von dem Kriege, denn wenn jene auch die Wirkung eines Krieges hätten, 
so könnte doch kraft derselben keine Privatperson die Schiffe des Gegentheils, ohne 
ein königliches oder obrigkeitliches Kommissorium, nehmen und geriethen außerdem 
durch die R. Staaten nicht in einen vollständig feindlichen Zustand hinein. Groot 
(III. II. § II. 3) konstatirt, daß man sich der R. bediene nicht blos in den bellis 
plenis, sondern auch, wo man einer violenta quaedam iuris executio oder eines 
bellum imperfectum bedürfe; Wolff (§ 603) hält R. für eine Spezies des Krieges, 
ähnlich dem Privatkriege, Moser (Verf. IX. II. 521) statuirt R. in Kriegszeiten 
und führt besondere R. der Kriegsmanier auf. Dagegen sentirt Bynkershoek 
1. c. bündig: „repressaliis locum non esse nisi in pace“, bezeichnet Hautefeuille 
(126) R. als zum Frieden gehörende und Kent (I. 69) als mit dem Friedens- 
stande verträgliche Acte und giebt Burchardi (497) zu, daß sie ihn nicht auf-
	        
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