Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

452 Reservatrechte. 
6. Noch zahlreichere Exemtionen gegenüber dem Gem. Reichsrecht bestehen 
für Bayern. Dieser Staat hat 1) die gleiche Exemtion wie Baden und Württem— 
berg hinsichtlich der Besteuerung von Bier und Branntwein; 2) die gleiche Exemtion 
wie Württemberg bezüglich der Post- und Telegraphengesetzgebung; 3) die Exemtion von 
der Reichseisenbahngesetzgebung, soweit nicht die Ausführung von R erf. Art. 41, 46 und 
47 in Frage steht, 4) die theilweise Exemtion von der Militärgesetzgebung (Versailler 
Vertr. III. § 5 und XIV. Schlußsatz zu Absch. XI der PMerf.); 5) die (aller- 
dings nur formelle) Exemtion vom Reichsmilitäretat (RVerf. Art. 69, 71, 72 verb. 
mit Verf. Vertr. III. § 5 und XIV., dazu Schlußsatz zu Abschn. X1I der NVerf.); 
6) die Exemtion von der Heimaths= und Niederlassungsgesetzgebung des Reiches 
(RVerf. Art. 4, 3. 1; Verf. Schlußprot. III). 7) Außerdem ist Bayern noch 
eximirt a) von der Reichsgesetzgebung über Immobiliarversicherungswesen (Verf. 
Schlußprot. IV.), b) von der Thätigkeit der Reichsnormaleichungskommission (Ges. 
vom 26. November 1871, § 3), c) von der Thätigkeit der Reichsgefandtschaften. 
soweit Bayerische Spezialgesandtschaften fungiren (Vers. Schlußprot. VII, VIII). 
Die sub 7 a—e bezeichneten Exemtionen haben keine verfassungmäßige Anerkennung 
empfangen, auf sie trifft demnach auch die RVerf. Art. 782 nicht zu; da aber die 
Exemtionen sub 7 a und c lediglich auf Vertrag bis zur Stunde beruhen, können 
sie ebenfalls nur mit Zustimmung Bayerns abgeändert werden. 
Dagegen gehören die Präsidialrechte der Krone Preußen, das Recht Bayerns 
auf ein Mehr von zwei Stimmen gegenüber den anderen beiden Königreichen, die 
Vorrechte von Bayern, Württemberg und Sachsen hinsichtlich der Zusammensetzung 
der Bundesrathsausschüsse, das eventuelle Recht Bayerns auf den Vorsitz im Bundes- 
rathe (R.Verf. Art. 6, 8, 11—19; Bayer. Schlußprot. IX.) nicht zu den Sonder- 
rechten im Sinne von Art. 782 der NVerf. 
II. Die Abänderung der „R.“ Für die Frage der Abänderung der R. 
kommt primär in Betracht der Rechtstitel, auf welchem dieselben beruhen. Nach dem 
allgemeinen staatsrechtlichen Grundsatz, daß die Abänderung eines Rechtssatzes nur auf 
demselben Wege erfolgen darf, auf welchem der Rechtssatz entstanden ist, müssen 
R., welche nur auf den völkerrechtlichen Verträgen vom November 1870 beruhen 
(vgl. Württ. Schlußprot. Z. 2; Bayer. Schlußprot. Z. IV., VII., VIII.), ohne in die 
Verfassung ausgenommen worden zu sein — eine Anomalie, welche bedenklicher Weise 
nicht vermieden wurde, während im Uebrigen jene Verträge durch ihre Erfüllung mit 
Aufrichtung des Reiches und Erlaß der Verfassung erloschen — auch wieder auf 
dem Vertragsweg abgeändert werden: wenigstens kann dies gefordert werden; un- 
zweifelhaft aber würde ein unter Zustimmung des berechtigten Bundesgliedes gegebenes 
Gesetz für Herstellung des Rechtseffektes der Abänderung ausreichen. Ist der Titel 
eines R. Verordnung (vgl. z. B. Laband, Staatsrecht, I, 1141), so erfolgt 
die Abänderung durch Verordnung, ist er Gesetz durch Gesetz (vgl. RGes. vom 
26. November 1871, die Maß= und Gewichtsordnung betr., § 3), ist er Ver- 
fassungsgesetz durch Verfassungsgesetz. Für die letztere Gruppe aber enthält die 
M erf. Art. 792 noch eine besondere Norm: R., welche „Vorschriften der RVerf.“ 
sind, „können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates 
abgeändert werden.“ Einverständniß herrscht hinsichtlich der Interpretation dieses 
Satzes darüber, daß die Form der hiernach erforderlichen „Zustimmung“ keine andere 
ist als die regelmäßige Form der Abstimmung im Bundesrath: der „terechtigte 
Bundesstaat“ muß sich unter der die Annahme votirenden Mehrheit im Bundesrath 
befinden und kann, falls dies nicht der Fall, jede Mehrheit hinfällig machen. Leb- 
hafter Streit aber wird geführt um die Interpretation der Worte „Zustimmung des 
berechtigten Bundesstaates“. 
Die Mehrzahl der Schriftsteller ist der Ansicht, daß diese Zustimmung lediglich 
in der bejahenden Erklärung im Bundesrath zu bestehen brauche, welche der stimm- 
führende Bevollmächtigte kraft der ihm von seinem Landesherrn ertheilten Instruktion
	        
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