Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Resumé. 457 
wort nicht zu der gestellten Frage paßt und daher falsch ausgelegt wird. — Hält 
man daran fest, daß die Rechtsbelehrung des Vorsitzenden bei der jetzt als richtig 
anerkannten Art der Fragestellung die authentische Begründung der Fassung der 
Fragen, also deren authentische Interpretation ist, so wird man den Gedanken kaum 
abweisen können, daß zu vermuthen sei, es habe sich die Jury von jener Rechts- 
belehrung leiten lassen und daß daher, wie ja überhaupt zur Vernichtung die Vermuthung 
beirrender Einflüsse genügt, der Ausspruch der Geschworenen wegen irriger Rechts- 
belehrung sollte vernichtet werden können. 
2) Kann nach Vorstehendem ein Schlußvortrag nicht entbehrt werden, so ist 
es allerdings nicht unbedingt nothwendig, daß derselbe ein „R.“ im engern Sinne, 
d. i. eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Beweisverfahrens sei. So wie die 
Sachen auf Grund der Französischen Anordnung der Hauptverhandlung (s. 
diesen Art.) auf dem Kontinente stehen, wird das R. sich nicht sowol unmittelbar 
auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens beziehen, als auf deren Erörterung in den 
Parteivorträgen. Der Englische Richter stellt dem Beweisergebniß das Beweisrecht 
gegenüber, das er darlegen soll, und findet im Rechte des Landes den allerdings 
elastischen Begriff des „der Jury anheimzustellenden Beweises“ (evidence to be left 
to the jury), und an dieser Grenze erst soll die Aeußerung seiner persönlichen 
Meinung stille stehen. Der kontinentale Schwurgerichtspräsident wird dagegen die 
Hauptausgabe des R. im engeren Sinne darin erblicken, die Einseitigkeiten in den 
Darstellungen der Parteien durch möglichst objektive Gruppirung der Beweis- 
ergebnisse zu berichtigen und schon dadurch leicht in einen polemischen Ton verfallen; 
da er ferner ohne Unterstützung durch ein positives Beweisrecht die naturgemäßen 
und wissenschaftlichen Anforderungen an die Beweise den Geschworenen darzulegen haben 
wird, ist er noch mehr der Gefahr ausgesetzt, seine persönliche Meinung durchblicken 
zu lassen oder dessen wenigstens beschuldigt zu werden. Allein dieser Gefahr wird 
er, so lange er nicht zum völligen Schweigen verpflichtet und darum auch berechtigt 
wird, nie entgehen. Auch wenn er nur die Rechtsbelehrung ertheilt, wird er einer 
Erwähnung der vorgekommenen thatsächlichen Behauptungen nicht aus dem Wege 
gehen können, und, wenn vorausgesetzt wird, daß er es auf ungebührliche Geltend- 
machung seiner Meinung abgesehen habe, dieselbe leicht zum Ausdruck bringen. Daß 
endlich in verwickelteren Sachen, bei längerer Dauer der Hauptverhandlung und 
insbesondere der Parteivorträge, sich eine übersichtliche Wiedervorführung des Ver- 
handlungsstoffes als sehr nützlich erweisen kann, ist einleuchtend. Man steht also 
hier wieder vor der alten legislativen Streitfrage, ob eine an sich zweckmäßige Ein- 
richtung beseitigt werden solle, weil mit ihr Mißbrauch getrieben, oder sie Anlaß 
zur Verdächtigung geben könnte, eine Frage, auf deren Lösung auch die bestehenden 
Zustände und die gemachten Erfahrungen Einfluß üben. Man kann aber wohl 
sagen, daß es besser wäre, nichts zu verabsäumen, was die Unbefangenheit des 
Schwurgerichtsvorsitzenden sichern kann und dann seinem Gewissen und seinem Takt 
zu überlassen, wie weit er im Schlußvortrage gehe. 
3) Wichtig ist auch die Frage des Zeitpunktes, in welchem der Schluß- 
vortrag abgehalten wird. Die Französische Einrichtung, nach welcher das R. der 
Feststellung der Fragen vorangeht, ist wol nur aus der Annahme erklärbar, daß 
zur richtigen Auffassung der Fragen die Geschworenen keiner Anleitung bedürfen und 
daß das R. selbst sich nur mit der Thatfrage zu beschäftigen habe. Obgleich 
wenigstens letztere Anschauung in Italien noch vorherrscht, hat man doch, die Noth- 
wendigkeit einer Erklärung der Fragen durch den Vorsitzenden anerkennend, bei der 
Revision des Schwurgerichtsverfahrens im Jahre 1874 das R. der Feststellung der 
Fragen angereiht, wenngleich die letztere ihrerfeits erst nach den Parteivorträgen 
erfolgt. 
Der Entwurf der Oesterr. Straf O. wich von den ganz an die Französischen 
Einrichtungen sich anschließenden Bestimmungen der StrafP O. von 1850 über das
	        
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