Richterlicher Eid. 477
den r. E. in ein j. suppletorium und purgatorium, Erfüllungs= und Reinigungseid,
von welchen der letztere indeß, als Angesichts der Möglichkeit einer eventuellen Eides-
delation entbehrlich, partikularrechtlich vielfach abgeschafft wurde, so daß, wenn der
gelieferte Beweis nicht einmal zum suppletorium ausreicht, er als nicht vorhanden
zu betrachten ist (Code civil art. 1366, 1367; Bayer. Prz. O. von 1869 Art. 469;
vgl. auch Hannov. Prot. VIII. S. 2986 ff.). — Ist nun im Oesterr. Entwurf von
1876 der r. E. wie der Parteieneid überhaupt durch die eidliche Vernehmung der
Parteien als Zeugen ersetzt, so hat ihn dagegen die Deutsche CPO. zwar in ihr
Beweissystem ausgenommen, aber in Folge des Prinzips der freien richterlichen Ueber-
zeugung dem Gem. Prozeß gegenüber gänzlich umgestaltet. In Konsequenz dieses
Prinzips, wie es in § 259 der CPO. Ausdruck gefunden hat, mußte vor Allem die
Voraussetzung der inopia probationum fallen gelassen, und dem Richter gestattet
werden, auf Grund lediglich der vor ihm geführten Verhandlung, eventuell selbst
unter Zurückweisung angebotener anderer Beweise — (Abweichung von dem Grundsatz
der Subsidiarität des Eides: Endemann, Komm. zu § 347 sub. II.; unrichtig
Struckmann, ebenda (3. Aufl.) sub 1 i. f.) — den Notheid aufzuerlegen, woraus
sich von selbst wieder ergiebt, daß derselbe nicht blos über die zu beweisende That-
sache selbst, sondern auch über ein Indiz verlangt werden kann (vgl. § 437 vv.
„der zu erweisenden Thatsache“ — „über eine streitige Thatsache“, s. hierher auch
Hannov. Prot. VIII. S. 2997); mußte weiter aber auch dem Richter die freie Ent-
scheidung nicht blos darüber, welcher Partei, sondern auch ob er überhaupt den r. E.
auferlegen wolle, unbeschränkt überlassen werden (daher das „kann“ des § 347
durchaus nicht in Bolgiano's Sinn — Arcchiv f. d. civ. Prx. LVIII. S. 279,
Nr. 2; Zeitschr. f. Deutschen Civ. Prz. II. S. 102 — als „muß“ zu interpretiren ist;
vgl. die eingehende Erörterung ob „kann“ oder „muß“ in den Hannov. Prot. VIII.
S. 2993—2996). Gefallen ist daher die Regel, daß der Richter je nach der
Stärke des erbrachten Beweises dem Probanten oder Probaten den Eid zu geben
habe, der übrigens schon durch die Beseitigung der die Wirkung der Beweismittel
normirenden Regeln (CPO. 8§ 259, Abs. 2; EG. zur CPO. § 13, Z. 2; § 14,
Z. 3) die Grundlage entzogen ist. Aber auch darauf, welcher Partei die Beweis-
pflicht obliege, kann es nur noch ankommen für die Frage, ob ein r. E. aufzulegen
sei, indem, wenn der Beweispflichtige nichts bewiesen hat, die Voraussetzung der
Auflage: daß das Ergebniß der Verhandlung oder Beweisnahme zur Begründung
der richterlichen Ueberzeugung „nicht ausreichend“ sei, mangelt; dagegen nicht mehr
für die Frage, welcher Partei der Notheid zu geben sei (Mot. zu § 419 des
Entw. von 1874, S. 509; zus 241 ff. des Entw. S. 472 sub II). Damit ist zugleich
der Unterscheidung eines j. suppletorium und purgatorium der Boden weggenommen.
Endlich ist der r. E. selbst von den. Beweisregeln, welche die Deutsche CPO. gerade
hinsichtlich des Eides sonst noch beibehalten hat, wenigstens theilweise befreit: er
kann zwar als Beweismittel nur über Thatsachen, nicht über Rechte oder Urtheile
auferlegt werden — wovon indessen, wie schon nach Gem. Recht (Wetzell, § 26,
S. 280) bezüglich der Abschätzung eines Schadens oder Interesse nach § 260 eine
Ausnahme gemacht ist —; aber er ist nicht auf die Thatsachen des § 410 beschränkt,
sondern kann auch über facta aliena schlechthin, jedoch unter Beobachtung der Normen
des § 424 (arg. § 439), abverlangt werden. Hinsichtlich der Wirkungen der Lei-
stung oder Nichtleistung ist er dagegen wie nach Gem. Recht an Beweisregeln ge-
bunden (§§ 428 ff.); die gemeinrechtliche Restitution gegen diese Wirkungen wegen
neuaufgefundener Beweismittel (Renaud, § 142 zu Nr. 30 ff.) ist der RCPO.
unbekannt (vgl. aber §§ 432, 433). Wie das Gemeine Recht schließt sie Zurück-
schiebung und Gewissensvertretung beim r. E. aus. Der r. E. kann nach § 437
nicht eher, als beim Abschluß der Verhandlung auferlegt, muß aber eben deswegen
stets durch bedingtes Urtheil angeordnet werden (§ 439 cf. mit § 426). Der r. E.
ist schließlich in allen Prozessen, auch in Ehestreitigkeiten, zulässig; mit Ausnahme