Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

514 Sachverständige. 
so wenig sichere Anhaltspunkte, daß es sich nur hieraus erklärt, wie fast alle sub I. 
dargestellten Ansichten sich auf sie berufen können. Sicher ist nur dies, daß die 
Funktionen der urtheilenden S. einst vom Gericht selbst versehen wurden, was sich 
daraus erklärt, daß einerseits entweder das Urtheil von den Volksgenossen selbst 
gesunden wurde, oder das Richteramt für die durch besondere Sachkunde zu ent- 
scheidenden Sachen an S. (arbitri: vgl. insbesondere Strippelmann, S. 7 ff.) 
übertragen; andererseits aber auch beim Rechtsgelehrten nicht nur justi atque injusti 
scientia, sondern auch divinarum ac humanarum rerum notitia vorausgesetzt wurde 
(Strippelmann, S. 4). Dem entsprechend ist auch heute da, wo die Richter- 
bank selbst mit S. besetzt ist (z. B. in Handels-, See-, Gewerbegerichten), die Zu- 
ziehung von S. als Richtergehülfen bezüglich der einschlägigen Fragen unnöthig 
(Hannov. Protok., VII. S. 2318; Oesterr. Entw. von 1876 § 404; Deutsches 
GVG. § 118); während im Uebrigen beim Richter heute nur Rechtskenntnisse ver- 
muthet werden (arg. Deutsches G. §8§ 2 ff.) und ebendeswegen anderweite Fach- 
kenntnisse auch da, wo sie zufällig beim Richter sich finden, der richtigen Ansicht 
nach (vgl. Gönner, Abhandl. 44, § 8; Abhandl. 45, § 4; Wetzell, § 44 nach 
N. 10; Motive zum Deutschen Entw. von 1874 S. 496 gegen Obermeyer, 
S. 86 ff.) zur Beurtheilung nicht verwerthet werden dürfen. — Von den Partikular- 
gesetzen hatten sich die meisten der gemischten Theorie angeschlossen (vgl. z. B. 
Corp. jur. Frideric. I. t. 3 § 7; II. t. 6 § 13; Allg. Preuß. Ger. Ord., II. t. 10 
§§ 383 ff.; t. 42 §§ 14, 35; Baden 1831, §§ 540, 541; Hannover 1850, 
§§ 275 ff., 280; Lippe 1859, §8§ 49, 51; Meiningen 1862, Art. 95 ff., 100; 
Baden 1864, 8§§ 491, 493, 494; Mürttemberg 1868, Art. 205, 500 ff.). Die 
neuesten Entwürfe und Gesetze dagegen sind von Wetzell's Gehülfentheorie be- 
einflußt. Dies gilt insbesondere von der Deutschen CPO. 88§ 135, 367—379, 
und von dem mit derselben wesentlich übereinstimmenden Oesterr. Entw. von 1876, 
§§ 215 Abs. 3; 392—406. Dabei ist jedoch mit einer Halbheit verfahren, welche 
die ohnehin so schwierige Lehre nur gänzlich zu verwirren geeignet ist. Während 
die Motive zum Deutschen Entw. von 1874 S. 496 zunächst Wetzell's Lehre sammt 
seiner Begründung derselben vollständig adoptiren, fahren sie unmittelbar darauf 
sort: „Dies Prinzip ist in Verbindung mit dem Grundsatz der freien Beweis- 
würdigung für die Vorschriften des Entwurfs über den S.-Beweis maßgebend ge- 
wesen“; nicht gewahrend, daß die Wetzell'sche Gehülfentheorie die Anwendung des 
Beweisbegriffes auf die S. total ausschließen müßte, daher denn auch Wetzell 
selbst ausdrücklich gegen die Bezeichnung und Behandlung der S. als Beweismittel 
protestirt (Syst. § 44 N. 14 und 16). Und diese Prinzipienlosigkeit (die übrigens 
auch schon in den Hannov. Protok., XV. S. 5718 ff., zu Tage tritt) spiegelt sich 
auch überall im Gesetz selbst wieder. Während unter Ausscheidung der sachverstän- 
digen Zeugen von den S. (Deutsche CPO. § 379; vgl. Oesterr. Entw. § 406) 
die Gehülfentheorie in ihren Hauptkonsequenzen ausdrücklich sanktionirt ist (vgl. oben 
sub I. und gleich unten sub IV.), werden die S. doch nicht nur als Beweismittel 
bezeichnet (Deutsche CPO. § 324 3. 2; Rubrik des 8. Tit. in Buch II. Abschn. 1: 
„Beweis durch S.“), sondern auch als solche behandelt, indem die Lehre von den 
S. mitten unter den Beweismitteln geregelt, auf die S. ausdrücklich die Vorschriften 
über den Zeugenbeweis als analog anwendbar erklärt (§8§ 367, 371); von Beweis- 
antretung, Beweisbeschluß, Beweisaufnahme mit namentlicher Beziehung auf die S. 
gehandelt ist (§§ 368, 324, 370). Damit sind die S., soweit sie Beweismittel 
sind, in dubio auch den übrigen Regeln des Gesetzes über den Beweis unterworfen, 
so der des § 258 oder der des § 437 u. s. w., was in direktem Widerspruch mit 
der Gehülfentheorie steht (ogl. Mittermaier, § 6 S. 135 ff.; Wetzell, § 44 
nach N. 37). Wieweit aber die S. als Beweismittel zu betrachten sind, darüber 
fehlt es nicht nur im Gesetz an jedem Anhalt, sondern nehmen auch die Motive den 
letzten, indem sie den Unterschied zwischen wahrnehmenden und urtheilenden S. mit
	        
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