Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Schulaufsicht. 599 
Schulaufsicht. Die große Aufgabe der Erziehung und Bildung der Jugend 
in öffentlichen Anstalten (scholae, Schulen im weitesten Sinne) ist als eine gemein- 
same für Familie und Gemeinde, für Kirche und Staat anerkannt. Unbestritten 
voran mit ihrem Antheil steht die Familie, so weit sie den Willen und die Fähig- 
keit hat, ihren Erziehungsberuf zu erfüllen. Muß aber in Ermangelung dessen die 
Mitwirkung einer höheren Gemeinschaft eintreten, so entsteht alsbald die Frage, ob 
die kirchliche oder die politische Gemeinde, und damit die weitere Frage, ob 
Kirche oder Staat die Schule beherrschen und leiten soll. 
Dem Mittelalter war durch die Einheit der Kirche auch eine einheitliche Grund- 
lage für Erziehung und Unterricht gegeben. Die Kirche war durch ihre Fundationen 
bis zur Ortspfarre herab so tief verwachsen mit dem Gemeindeleben in Land und 
Stadt, daß ihr die Leitung des Unterrichts in allen Stufen zufallen mußte. Die 
Schule galt als „Annexum der Kirche“, schon aus dem Grunde, weil die Entstehung 
wie die Fortbildung aller gemeinsamen Anstalten der Art auf dem Personal des 
Klerus und auf kirchlichen Mitteln beruhte. Da nun aber der kirchliche Beruf 
durch Menschen erfüllt werden mußte, welche durch die Hierarchie der Aemter und 
durch den kirchlichen Besitz mit der ständischen Ordnung der Gesellschaft in allen 
Stufen verwachsen waren, so fand sich die Kirche auf dem Höhepunkt ihrer Macht 
überall verflochten mit den Herrschaftsinteressen der höheren Stände. Ihr Beruf 
zur Lehre und Seelsorge ordnete sich dem Machtinteresse der kirchlichen Regierung 
unter. Waren am Schluß des Mittelalters die großen Vermögensmassen der Kirche 
zu fürstlichen und adligen Dotationen geworden, zum Theil auch den Klöstern und 
Orden appropriirt, auf Kosten der lehrenden und seelsorgenden Geistlichkeit, so blieb 
nur ein kärglicher Rest für die Zwecke eines allgemeineren Unterrichts übrig. Auch 
in den Klöstern und Orden trat der Lehrzweck immer weiter zurück von den hierar- 
chischen Bestrebungen der Erhöhung kirchlicher Macht. Der Lehrberuf der Kirche wurde 
daher ungleichmäßiger und dürftiger erfüllt als in früheren Jahrhunderten, während 
das Bedürfniß des bürgerlichen Lebens mit der Entwickelung des Handels und der 
Gewerbe wuchs, und das Laienthum nöthigte sich selbst zu helfen. In den Städten 
entstehen zuerst gelehrte Schulen aus nicht-kirchlichen Mitteln, und damit auch ein 
bescheidener Antheil des Stadtregiments und des Kirchenpatronats an der Einrichtung 
eines öffentlichen Schulwesens. 
Mit der Reformation tritt der geistliche Beruf der Lehre und Seelsorge 
wieder in den Vordergrund und damit eine nachdrückliche Anerkennung des kirchlichen 
Berufs zur Organisation und Leitung der Schule unter Schutzherrschaft der welt- 
lichen Obrigkeit. Diese Richtung hat eine Rückwirkung auch auf die Länder geübt, 
die der alten Kirche treu blieben, wie denn auch der Volksunterricht im Tridentiner 
Konzil als eine allgemeine Aufgabe der Kirche nochmals anerkannt wurde. Man 
nannte die Schule noch immer eine „Tochter der Kirche“, ohne freilich hinzuzufügen, 
daß sie, in Ermangelung eigener Mittel, meistens „bei fremden Leuten in Kost ge- 
geben war“. 
I. Vorläufig abgesehen von Deutschland ist daraus ein Kommunions= 
verhältniß zwischen Kirche, Gemeinde und Staat an den Anstalten des öffentlichen 
Unterrichts in der europäischen Welt hervorgegangen. Ueberall galten die Grund- 
gesetze der herrschenden Staatskirche als Theile des gemeinen Landrechts. Die 
herrschende Kirchengemeinschaft allein besitzt die obrigkeitlichen Rechte einer „Kirche"“ 
und die Leitung der Schulen, unter Mitwirkung städtischer und anderer Korporationen 
und unter allgemeinen Oberaufsichtsrechten des Staats. Eine solche 
wird aus dem ius advocatiae et inspectionis saecularis abgeleitet, mit der aner- 
kannten Aufgabe, durch ein ius cognoscendi, interdicendi, confirmandi dafür Sorge 
zu tragen, daß die vorhandenen Institutionen, Stiftungen und Einkünfte ihren be- 
stimmungsmäßigen Zwecken erhalten bleiben. In der sog. Aufklärungsperiode werden 
diese Gewalten meistens im Sinne einer Milderung der kirchlichen Ausschließlichkeit.
	        
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