610 Schuldhaft.
Endlich langte die Rechtsanschauung in theoretischer Beziehung auf dem Stand-
punkte an, geradezu leugnen zu müssen, daß „aus dem Wesen des Rechts die
Verpflichtung des Schuldners folge, mit seiner Person für die Erfüllung der ver—
mögensrechtlichen Verpflichtungen in der Art einzustehen, daß der Gläubiger befugt
sei, ihn seiner persönlichen Freiheit zu berauben“; in praktischer Hinsicht aber hat
sich gezeigt, daß die S. dem kreditsuchenden Publikum, dem Schuldner und dessen
Angehörigen regelmäßig nur Nachtheil und Leiden, ja selbst völligen Ruin, häufig
herbeigeführt durch niedrige Leidenschaftlichkeit des Gläubigers, diesem aber nicht
den gewünschten Vortheil bringe. Geleitet durch diese und ähnliche Erwägungen
und an der Hand einer genauen Statistik über die bisherigen Erfahrungen hob
man nach dem Vorgang der Engl. und Franz. Gesetzgebung die S. als Exekutions-=
mittel auch in Oesterreich, dann im Norddeutschen Bunde, in Bayern und im
übrigen Deutschland auf. § 1 des bezüglichen Norddeutschen Gesetzes, nun Deutschen
Reichsgesetzes, bezeichnet den Personalarrest insoweit als nicht mehr statthaft, als
dadurch die Zahlung einer Geldsumme oder die Leistung einer Quantität vertretbarer
Sachen oder Werthpapiere erzwungen werden soll; ähnlich das Oesterreichische und
die übrigen Gesetze. (Das Franz. Gesetz von 1867 ließ die S. zur Beitreibung
von Geldstrafen und strafrechtlichen Schadensersatzschulden bestehen, zur Eintreibung
der schuldigen Kosten des Strafverfahrens wurde die S. in Frankreich wieder ein-
geführt im Jahre 1871.) Damit ist die S. in ihrer gewöhnlichen und wichtigsten
Bedeutung, nämlich der eines Mittels zur Erzwingung einer bivilrechtlichen
Leistung, aus der Reihe der civilprozessualen Zwangsmittel entfernt worden.
Dagegen bestimmt § 2 des erwähnten Resetzes, daß die gesetzlichen Vorschriften,
welche den Personalarrest gestatten, um die Einleitung oder Fortsetzung des Prozeß-
verfahrens, oder die gefährdete Exekution in das Vermögen des Schuldners zu sichern
(Sicherungsarrest), unberührt bleiben, und verlegt somit den Fortbestand und die
Ausbildung der Sicherungshaft, seine Voraussetzungen und seine Ausführung in
das partikulare Prozeßrecht.
Dieser Rechtszustand währte im Deutschen Reiche nicht viel über 10 Jahre;
ihn beendigte die Einführung der Justizgesetze, welche am 1. Oktbr. 1879 in Wirk-
samkeit traten und zunächst den § 2 des Reichsgesetzes vom 29. Mai 1868 zwar
aufhoben, dagegen ihrerseits die Sicherungshaft zum Zweck der Sicherstellung einer
gegen das Vermögen der Schuldner gerichteten Exekution gestatteten und die S.
auch in Bezug auf andere Fälle neu, eigenartig und für ganz Deutschland einheit-
lich normirten.
Demnach ist als geltendes Recht im Deutschen Reiche nun zu bezeichnen:
1) Die S. existirt als perfönlicher Sicherheitsarrest, zwar nicht mehr
zum Zweck der Sicherung, der „Einleitung oder Fortsetzung des Prozeßverfahrens“
überhaupt, wohl aber — soweit erforderlich — „um die gefährdete Zwangsvoll=
streckung in das Vermögen des Schuldners zu sichern“ (Deutsche CPO. 88§ 798),
d. h. mit anderen Worten: „wenn zu besorgen ist, daß ohne die Verhängung
dieses Personalarrests die Vollstreckung des Urtheils vereitelt oder wesentlich erschwert
werden würde“ (Deutsche CPO. § 797), wozu auch der Fall zu ziehen ist, daß
das Urtheil im Auslande vollstreckt werden müßte (s. dv. Wilmowski und Levy,
a. a. O. S. 918); diese Art der S. wird nur auf Antrag, aber möglicherweise ohne
vorgängige mündliche Verhandlung von dem zuständigen Amtsgerichte (dem des
Aufenthaltsortes des Schuldners) verhängt und entweder durch Haft oder durch
sonstige Beschränkungen der perfönlichen Freiheit (z. B. durch Beschlagnahme von
Legitimationspapieren oder von Reisemitteln, durch Stadt= oder Hausarrest u. s. w. —
Deutsche CPO. § 812 und die Kommentare hierzu) nach gesetzmäßiger Anordnung
des Mrstgercht= vollzogen.
2) Die S. als Sicherheitshaft des Gemeinschuldners im Konkursverfahren;
wenn Gefahr besteht, daß der Gemeinschuldner seine perfönliche Freiheit zu Ver-