Schwurgericht. 625
b) Die Beweisjury. Das Merkmal, durch welches die Beweisjury sich
von dem eben behandelten Inquisitionsbeweise abhebt, liegt in ihrer festeren formalen
Ausgestaltung, insbesondere darin, daß die Geschworenen, von bestimmten Ausnahms-
fällen abgesehen, dem Gerichte als eine geschlossene Einheit gegenüberstehen, indem sie
ihren Wahrspruch ausf Grund vorausgegangener kollegialischer Berathung durch eines
ihrer Mitglieder im Namen aller sozusagen als Zeugengenossenschaft abgeben. Das
Gericht hat es nicht mehr mit einer Summe von einzelnen Geschworenen, sondern
mit einer ad hoc gebildeten Körperschaft zu thun, so daß eine von vornherein zum
Zweck des Verhörs stattfindende Isolirung der Einzelnen durch den Richter aus-
geschlossen ist. Aeußerlich tritt dieser Fortschritt in der Ausbildung des Wortes
Jurata, Jurea, Jurée hervor, welches die Gesammtheit der einzelnen Juratores be-
zeichnen soll.
Nach der Auflösung der Fränkischen Monarchie hat sich die Inquisitio zunächst
als ein außerordentliches Beweismittel in Westfrancien erhalten. Das Französische
Königthum brachte sie, wie das Fränkische, in Fiskalprozessen zur Anwendung.
Insbesondere haben die Normannischen Herzoge, welche sich die Einrichtungen des
Westfränkischen Königshofes zum Muster nahmen, die Ingquisitio in fiskalischem
Interesse verwerthet. Wie in Karolingischer Zeit wurde durch Privilegien der Nor-
mannischen Herzoge das fiskalische Vorrecht einzelnen Kirchen und Klöstern verliehen.
Desgleichen finden sich die Inquisitionsmandate, nunmehr technisch brevia inqui-
sitionis genannt, durch welche der Herzog im einzelnen Falle auf spezielle Intervention
einer Partei hin eine Inquisitio anordnete, jedoch nicht ohne sich gewöhnlich diese
außerordentliche Vergünstigung von der Partei bezahlen zu lassen. Vollständig die-
selben Einrichtungen sehen wir die Normannen in dem von ihnen eroberten Eng-
land mit rücksichtsloser Konsequenz zur Durchführung bringen. Der nationale und
der soziale Gegensatz der Eroberer zu den Angelsachsen machte die Anwendung der
Inquisitio hier doppelt nothwendig, ein Moment, das in ähnlicher Weise schon bei
der Entwickelung des Fränkischen Frageverfahrens eine Rolle gespielt hatte. Namentlich
wurde sie oft zu fiskalischen Verwaltungszwecken benutzt. Als universelle Maßregel
zur Geltendmachung der königlichen Rechte, als sicherstes Auskunftsmittel der Nor-
mannischen Regierung, sich in dem eroberten Lande zurechtzufinden, erlangte sie
geradezu politische Bedeutung. So verdankt unter anderen das Domesdaybook,
eine eingehende Katastrirung des Landes, seine Entstehung einer umfassenden In-
quisitio, welche gegen Ende der Regierung Wilhelm's des Eroberers über die Grund-
besitzverhältnisse Englands vorgenommen wurde. Eine wichtige Umwandlung der
Institution beginnt mit der Regierung Heinrich's II. Sie streift ihren Charakter
eines blos außerordentlichen Beweismittels ab und wird durch organische Einfügung
in das Gerichtsverfahren ein ordentliches Rechtsmittel. Seit dieser Zeit sind drei
Hauptformen der Normannischen Inquisitio in Civilfachen zu unterscheiden, die
inquisitio ex brevi, die inquisitio ex officio, die inquisitio ex jure.
1) Die inquisitio ex brevi. Sie verdankt ihre Entstehung den Satzungen
(assisae) Heinrich's II., welche dieser zuerst als Herzog der Normandie in den
Jahren 1150—1152, dann als König von England nach 1154 erließ, indem er
feststellte, daß in bestimmten Fällen jede Prozeßpartei von der herzoglichen, refp.
königlichen Kanzlei ein Breve erwirken könne, durch welches für den betreffenden
Prozeß eine Inquisitio angeordnet und somit das alte formale Beweisverfahren
mit der ultima ratio des Zweikampfes ausgeschlossen wurde. Das Breve war an
den Vicecomes (Bailli) stilisirt und forderte diesen auf, zwölf Geschworene auszu-
wählen und vor das Königsgericht oder das Gericht eines königlichen Missus oder
die herzoglichen Assisen der Normannischen Barone zu laden, um daselbst über die
Wahrheit der in dem Breve angegebenen Behauptung der Partei ihren Spruch ab-
zugeben. Für die einzelnen Rechtsfälle haben sich bestimmte Formulare der Brevia
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 40