Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Schwurgericht. 627 
2) Die Inquisitio ex officio. Neben den Retognitionen und Assisen 
im engeren Sinne des Wortes erhielt sich für den Fiskus die Inquisitio mit ihren 
alten minder ausgebildeten Formen, welche als Inquisitio schlechtweg oder als In- 
duisitio ex officio der Inquisitio ex brevi gegenübergestellt wird. Noch nach neuerem 
Engl. Recht galt es als eine Eigenthümlichkeit des Inquest of office, daß er ver- 
mittelst einer Jury of no determinate number, nämlich von zwölf oder mehr oder 
weniger Geschworenen durchgeführt wird (Zlackstone, Co. III. 258). 
3) Die Inquisitio ex iure. In den Englischen und Normannischen 
Rechtsbüchern des 13. Jahrh. tritt uns eine besondere Art der Beweisjury in Civil= 
sachen des Gemeinen Prozesses entgegen, für welche die Benennung Jurata, die 
früher als gleichbedeutend mit Inquisitio gebraucht wurde, in ausschließliche An- 
wendung kommt. Die Jurata erscheint als ein gewohnheitsrechtlich zum ordentlichen 
Beweismittel erhobener Inquisitionsbeweis. Die Art und Weise, wie sie allmählich 
in das ordentliche Verfahren eingefügt wurde, läßt sich nicht mit voller Sicherheit 
klarstellen. Wahrscheinlich ist Folgendes. Nach Normannischem und Englischem Recht 
stand es den Parteien frei, sich auf die Ausschließung des formalen Verfahrens 
und die Entscheidung einer Jury zu vereinigen. In der Normandie konnte unter 
dieser Voraussetzung selbst in dem Gerichte eines Seigneurs eine Jurata berufen 
werden, wogegen sie in England ausschließlich auf die Curia regis beschränkt blieb. 
Wie es scheint hat sich im Anschluß an diese Einrichtung das Verfahren per 
juratam zunächst für jene Fälle gewohnheitsrechtlich firirt, in welchen nach dem 
alten formalen Verfahren das Gemeindezeugniß am Platze gewesen wäre und ein 
Rekognitionsverfahren noch nicht ausgebildet war. Der Konsens der Parteien wurde 
im Laufe der Zeit eine juristische Fiktion, da er mit Rücksicht auf die Nachtheile, 
welche die Ablehnung der vom Gegner beantragten Jurata nach sich zog, Gebot 
einer prozessualen Zwangslage geworden war. Nichtsdestoweniger blieb die Auf- 
fassung der Jurata als eines Schiedsspruches, auf welchen sich die Parteien frei- 
willig beriefen, in England noch lange Zeit für die juristische Beurtheilung der- 
selben maßgebend. Das Verfahren mit der Jurata mochte sich ursprünglich von 
der Form oder vielmehr Formlosigkeit des Inquest of oftice kaum unterscheiden. 
Doch hat die festere Ausbildung der Rekognitionen auf die Jurata einen wesentlichen 
Einfluß ausgeübt. In der Normandie hat sie, von dem Mangel des Breve ab- 
gesehen, vollständig die Art des Rekognitionsverfahrens angenommen. In England 
hat sie eine nach Analogie der Assisen ausgeprägte Form erhalten, wenngleich sie 
einzelne wesentliche Unterschiede aufweist, die sich am besten daraus erklären, daß 
die Assise ein durch Satzung umgebildeter Inquisitionsbeweis ist, während die 
Jurata sich aus diesem gewohnheitsrechtlich entwickelt hat. Die formalen Unter- 
schiede zwischen Assisa und Jurata gruppiren sich um die der letzteren eigenthümliche 
Eidesformel: Hoc auditis Justiciarü quod veritatem dicam de hoc quod a me 
requiretis ex parte domini regis. Bei der Assise ist die Beweisfrage bereits durch 
das Breve formulirt. Die Geschworenen werden von vornherein zur Beantwortung 
dieser bestimmten Frage vorgeladen und nehmen mit Rücksicht auf sie den Visus 
terrae vor. Der Jurata dagegen wird die Beweisfrage vom ingquirirenden Richter 
formulirt und nach Ablegung des Wahrheitsversprechens vorgelegt, so daß dieses 
keine Beziehung auf den konkreten Streitfall und noch weniger auf einen voraus- 
gegangenen Visus terrae enthalten kann. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die 
Jurata unmittelbar von dem ingquirirenden Richter einberufen ist oder ob — was 
in England, nicht in der Normandie vorkam — die Einberufung durch ein könig- 
liches Breve erfolgt; denn im letzteren Falle wird die Jurata zwar ex brevi be- 
rufen, aber nicht ex brevi inquirirt. Die Jurata mußte ihrer minder formellen 
Natur nach ganz besonders geeignet scheinen zur Beantwortung von Thatfragen, die 
sich erst während des Prozesses, zumal in Folge erhobener Einwendungen als rele- 
vant herausstellten. Da die petitorischen Assisen eingeführt worden waren, um einen 
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