628 Schwurgericht.
Ersatz für den gerichtlichen Zweikampf zu bieten, blieben sie ausgeschlossen in Fällen,
in welchen von Alters her das Duell nicht zulässig war. Für Rechtsstreitigkeiten
dieser Art, sowie für zahlreiche neu ausgebildete Klagen trat die Jurata ein. Weil
diese vor der Assisa den Vorzug hatte, daß die Beweisfrage vom Richter abgefaßt
und somit der Beschaffenheit des einzelnen Falles besser angepaßt werden konnte,
fand im Laufe der Zeit eine Verschmelzung der Assisa und Jurata in der Weise
statt, daß auch bei jener die Geschworenen ihr Verdikt in modum juratae abgaben.
Im Gegensatz zu der folgenden Entwickelungsphase charakterisirt sich die Jury
dieser Periode durch die ausschließliche Zeugenqualität der Geschworenen. Diese fällen
ihren Spruch auf Grund eigener Wissenschaft von der Sache, ohne daß etwa in
ihrer Gegenwart vor Gericht ein Beweisverfahren abgewickelt worden wäre. Der
Richter darf sie unter den oben angeführten Voraussetzungen um die Gründe ihres
Wissens befragen und ebenso kommt es vor, daß sie unaufgefordert die einzelnen
Thatumstände darlegen, auf die sie ihren Ausspruch stützen. Ihr Verdikt muß
übrigens nicht auf eigener unmittelbarer Wahrnehmung fußen, sondern kann auch
Mittheilungen und Meinungen glaubwürdiger Vorfahren oder Nachbarn zur Grund-
lage haben. Gebricht es an der zur Gültigkeit eines Spruches erforderlichen Stimmen-
zahl, so findet Afkortiatio statt, d. h. es werden, um jene zu erreichen, andere Ge-
schworene der Majorität beigesellt. Seit dem Ende des 13. Jahrh. trat an Stelle
dieses Verfahrens das Erzwingen der Einstimmigkeit. Die Geschworenen waren nicht
unverantwortlich, sondern unterlagen den Meineidsstrafen, wenn die Unwahrheit
ihres Spruches per attinctam (Attainte), d. i. durch eine Jury von vierundzwanzig
Geschworenen oder sonstwie, erwiesen worden war.
4) Die Urtheilsjury. Ihre Ausbildung ist das Ergebniß einer sehr all-
mählichen gewohnheitsrechtlichen Umgestaltung der Beweisjury. Der Uebergang wird
vermittelt durch eine Jury mit gemischter Funktion, d. h. durch eine Jury, welche
theils als Beweis= theils als Urtheilsjury fungirte. Indem dann die Geschworenen
allmählich den Charakter von Zeugen vollständig abstreifen, tritt die Jury aus jener
Doppelstellung, welche einen Zeitraum von mehr als 300 Jahren ausfüllt, als reine
Urtheilsjury heraus.
Bei der Beweisjury erscheinen die Geschworenen als Gemeindezeugen. Dieser
Begriff ist aber dabei ein so ausgedehnter, daß daneben fast jedes andere Zeugniß
verschwindet. Die Weiterentwickelung kennzeichnet sich nun dadurch, daß man an-
fängt, zwischen der Kenntniß gemeindekundiger Thatsachen und dem Wissen auf
Grund besonderer persönlicher Wahrnehmung zu unterscheiden. Neben das Noto-
rietätszeugniß stellt sich so als ein prinzipiell Verschiedenes das Spezialzeugniß.
Das gegenseitige Verhältniß beider Arten des Zeugnisses hat sich in der Normandie
und in England verschieden gestaltet. Das Normannische Recht brachte das Spezial-
zeugniß durch geheimes richterliches Verhör zur Verwerthung. Die Folge davon
war, daß das System isolirter Zeugenaussagen die Beweisjury völlig verdrängte.
In England wurde das Spezialzeugniß den Geschworenen als „Evidence“ vorgelegt
und somit formell dem Notorietätszeugniß untergeordnet. Da aber neben der Evi-
dence das Gemeindezeugniß immer mehr und mehr verblaßte, sind die Geschworenen
schließlich nur noch Urtheiler über das ihnen vorgelegte Beweismaterial.
Um von Anklängen abzusehen, welche in die Fränkische Zeit zurückreichen,
kommt es in England während des 13. Jahrh. öfter vor, daß vor den Geschworenen
Urkunden produzirt wurden, welche auf den Rechtsstreit Bezug hatten. Wurde die
Urkunde angefochten, so wurden die Urkundszeugen, testes in charta nominati, ein-
berufen und dem Kollegium der Geschworenen zugesellt. Vermuthlich unabhängig
von dieser Einrichtung, welche noch im 15. und 16. Jahrh. auf derselben Ent-
wickelungsstufe steht, hat sich — es ist nicht völlig klargestellt, wann und in welcher
Weise — die Rechtssitte ausgebildet, die von den Parteien produzirten Spezial-
zeugen den Geschworenen nicht zuzugesellen, sondern in Gegenwart derselben vor Ge-