Schwurgericht. 631
Französischen Coutumes spurenhaft als Enquste oder auch Jurée. In England wurde
es durch die Normannen in ausgedehntestem Maße in Uebung gebracht und mit den
sog. Fridborgs in Verbindung gesetzt, einer spezifisch Englischen Einrichtung, die eine
Haftung der Gemeinden für bestimmte in ihrem Bezirk begangene Verbrechen zur
Grundlage hatte. Die Assise von Clarendon (1166) statuirt ein Rügeverfahren vor
den Vizekommittees und vor den Justiciarien, welches die Inquisitio über Räuber,
Mörder, Diebe und deren Helfershelfer zum Gegenstande hat. Die Inguisitionen
der Reiserichter und Vizekommittees werden im 12. und 13. Jahrh. nach bestimmten
Frageartikeln vorgenommen. Die Untersuchung über Verbrechen wird dabei vor-
wiegend vom fiskalischen Gesichtspunkte aus und zugleich mit der Inquisitio über
königliche Gerechtsame geführt. Erst seit Eduard III. erscheint die letztere getrennt
von der Inquisitio über größere und kleinere Kriminalsachen. Besondere Funktionen
hat die Jury, welche der Coroner aus der Nachbarschaft beruft, um bei unnatür-
lichen Todesfällen die Untersuchung über Todesursache zu führen.
Die Rüge wird durch mindestens zwölf legales homines mit gesammtem
Munde ausgesprochen. Sie heißt presentment oder indicetment. Der Gerügte,
Rectatus, Indictatus vertheidigte sich ursprünglich durch ein Ordal, später durch die
Beweisjury.
Bis ins 14. Jahrh. findet sich nur eine aus den einzelnen Hundertschaften
ausgewählte Rügejury. Seit dieser Zeit taucht eine neue Einrichtung, der Grand
Enquest, auf, welcher von den königlichen Justiciarien gehandhabt wird. Es ist
das eine Jury von vierundzwanzig Geschworenen (wenn möglich Rittern) aus der
ganzen Grafschaft, welche in der Grand Jury, die zur Attainte in Civilsachen be-
nützt wurde, ihr Vorbild haben dürfte. Als sich das Amt der Friedensrichter aus-
gebildet hatte, übten diese die ihnen zufallende Kriminaljurisdiktion in ihren viertel-
jährigen Grafschaftssitzungen gleichfalls unter Mitwirkung einer Jury und zwar einer
großen Jury aus.
Während die der Herrschaft entnommene Rügejury der Vizekommittees und Justi-
ciarii außer Gebrauch kam, ist die ursprünglich aus der Grafsschaft gewählte große
Jury die Grundlage der heutigen Anklagejury geworden. Doch wurde sie nicht
mehr aus vierundzwanzig, sondern höchstens aus dreiundzwanzig Geschworenen ge-
bildet, um die zur Gültigkeit eines Spruches erforderliche Majorität von zwölf
Stimmen erlangen zu können. Ferner hat sie im Laufe der Zeit ihren Charakter
als Rügejury verloren. Der charakteristische Unterschied liegt in Folgendem.
Die Rügejury gab auf amtliche Inquisitio hin Anzeige von Verbrechen, um
die sie wußte. Nun kam es aber schon im Mittelalter vor, daß eine klagberechtigte
Partei bei der Rügejury eine Denunciation einbrachte, um auf diese Weise ein
Indictment herbeizuführen und die Erhebung einer rechtsförmlichen Klage, eines
Appeals, zu umgehen, die wegen der Folgen, die mit der Sachfälligkeit verbunden
waren, für den Kläger sehr gefährlich werden konnte. Die große Jury nahm nicht
blos Denunciationen, sondern auch Informationen entgegen. Man wirkte von
Amtswegen darauf hin, ihr solche zu verschaffen. So entwickelte sich ein Zeugen-
verfahren vor der Jury, welche demgemäß in der Regel nicht mehr aus eigenem
Wissen, sondern auf die erhaltenen Informationen hin den Anklagespruch fällte.
Auf diesen Grundlagen hat sich das moderne Verfahren entwickelt, welches darin
besteht, daß der Denunziant als Kläger im Namen der Krone (prosecutor) eine
schriftliche Klage, eine Bill of Indictment einreicht, über deren Zulässigkeit die An-
klagejury nach Vernehmung des Anklägers und seiner Zeugen entscheidet, indem
sie durch den Ausspruch „true bill“ den Bezichtigten formell in den Anklagezustand
versetzt oder durch ein „not found“ die Anklage als grundlos bezeichnet. Die freie
Rüge (zum Unterschied vom eben geschilderten Indictment nunmehr Presentment
genannt) ist daneben außerordentlich selten geworden, ohne ausdrücklich aufgehoben
zu werden.