Schwurgericht. 639
zu ihrer Unterscheidung erforderlichen Umstände bezeichnen“ soll. Da andererseits
nach der StrafPO. die Fassung der Anklage durch einen (allerdings einem anderen
Kollegium vorbehaltenen) Gerichtsbeschluß festgestellt wird, und da 8 296 der StrafPO.
vorschreibt, daß die Stellung von Hülfs= und Nebenfragen „nur aus Rechtsgründen
abgelehnt werden“ darf: so kommt in der Gesammtheit dieser Bestimmungen zu
deutlichem Ausdruck, daß durch ihren Einfluß auf die Fassung der Fragen die
rechtsgelehrten Richter die vorausgehende, hypothetische Unterstellung der That unter
das anzuwendende Gesetz vollziehen, vermöge welcher der in der Bejahung oder Ver-
neinung der Frage enthaltene Ausspruch der Geschworenen als das Ergebniß der
gemeinsamen Arbeit an der Lösung der Schuldfrage erscheint. Insofern die Auf-
stellung „mildernder Umstände“ ohne nähere Angabe im Strafgesetz nichts anderes
ist, als die Spaltung des der richterlichen Strafzumessung freigelassenen Raumes in
zwei Gebiete, ist die Berufung der Geschworenen zur Entscheidung über das Vor-
handensein „mildernder Umstände“ (Straf P O. § 297) nach der (allerdings vielfach
bestrittenen — s. z. B. Wahlberg in Haimerls Vierteljahrsschrift XI. S.
28—50)0 — Ansicht des Verfassers dieses Artikels, sogar eine Ausdehnung ihrer Spruch-
gewalt auf das Gebiet der Strafzumessung. Die in neueren Gesetzen enthaltene Bestimmung,
welche das Gericht in die Lage bringt, wegen des Mangels formeller Voraussetzungen
der Verurtheilung oder wegen solcher die Strafbarkeit aufhebender oder die Ver-
folgung ausschließender Umstände, welche gewissermaßen von außen zur That hinzu-
treten, den Angeklagten noch vor dem Wahrspruch außer Verfolgung zu setzen, ist
in die Deutsche StrasP O. nicht ausgenommen. Dies läßt sehr wichtige Fragen
offen. Wenn man mit v. Schwarze (S. 388) im Allgemeinen dem Gerichte die
Befugniß einräumt, einen großen Theil dieser Präjudizialfragen, ohne Rücksicht auf
den Eröffnungsbeschluß noch vor Beginn des Beweisverfahrens durch Einstellung
des Verfahrens zu entscheiden, so kann man allerdings die Konsequenz, die er hieraus
für das S. verfahren zieht (S. 453), annehmbar finden. Da jedoch jene Entscheidung an
sich Bedenken unterliegt, die sich angesichts der Jury noch steigern (Meyer in
v. Holtzendorff's Handb. II. S. 138, 139), so muß man wol Anstand nehmen,
dem Gericht ohne ausdrücklichen Ausspruch des Gesetzes diese Macht zu vindiziren. Unter
Verweisung auf die Artikel Fragestellung und Wahrspruch heben wir
nur noch hervor, daß auch das Recht des Gerichtes, den Wahrspruch zu suspendiren,
wenn es „einstimmig der Ansicht ist, daß die Geschworenen sich in der Hauptsache
zum Nachtheile des Angeklagten geirrt haben“ — im Gesetz (StrafP O. § 317)
Aufnahme gefunden hat. Ein ausnahmsweises Verfahren für den Fall des Geständ-
nisses nach dem Vorbilde des Englischen Vorganges bei plea guilty ist nicht eingeführt.
4) Für die Stellung des S. im Organismus der Strafgerichts-
barkeit ist bezeichnend, daß der Besonderheiten des schwurgerichtlichen Verfahrens
nur sehr wenige sind. An der Spitze steht hier die Nothwendigkeit der Vorunter-
suchung (§ 176 Abf. 1 der StrafP# O.) und die nothwendige Vertheidigung
(§ 140 der StrafP O.). Letztere tritt, wie mit Recht angenommen wird, auch dann
ein, wenn eine an sich zur Zuständigkeit des Gerichtes niederer Ordnung gehöriges
Delikt wegen Konkurrenz vor das S. gelangt. Auch die Abweichung der Bestim-
mungen über Klageänderung in der Hauptverhandlung (§ 294 der StrafPO.
verglichen mit § 264) wird nicht als eine sachliche, sondern nur die Vertheilung
des Stoffes betreffende aufgefaßt (v. Schwarze, Löwe, Voitus), selbst
bezüglich der Ausdehnung der Verhandlung auf neue Thatsachen
ist eine Abweichung nicht vorgeschrieben (anderer Meinung: Voitus). — Auch
das zur Verurtheilung erforderliche Stimmenverhältniß ist im S verfahren
kein abnormes. Nach § 262 der StrafP O. ist in jeder Hauptverhandlung zu einer
jeden dem Angeklagten nachtheiligen Entscheidung, welche die Schuldfrage be-
trifft, eine Mehrheit von zwei Drittheilen der Stimmen erforderlich; dem entspricht
die im S. verfahren regelmäßig geforderte Mehrheit von 8:4 Stimmen. (Praktisch