664 Sekundo= und Tertiogenituren — Selbsthülfe.
Sekundo= und Tertiogenituren haben den Zweck, die zweite, bzw. dritte
Linie einer Familie auszustatten zum Ersatz dafür, daß der Hauptstamm des
Familienvermögens als Fideikommiß oder Stammgut der ersten Linie vorbehalten
ist. Eine Vereinigung der Objekte der Sekundo= und Primogenitur in Einer
Hand kann nur dann eintreten, wenn aus der bestifteten Familie nur noch ein
einziges successionsfähiges Glied vorhanden ist. Diese Vereinigung dauert so lange,
bis wieder mehrere Linien entstehen. Im Uebrigen kann das Verhältniß zwischen
Primo= und Sekundogenitur verschieden bestimmt sein. In der Regel gelangen die
Descendenten des Stifters aus der ersten Linie nicht zur Succession in das Objekt
der Sekundogenitur, so lange noch ein anderer vom Stifter entsprossener Manns-
stamm vorhanden ist. Geht die zweite Linie aus oder wird sie durch Erlöschen
der ihr vorangehenden zur ersten Linie, so kommt die dritte Linie (nunmehr die
zweite) in den Besitz der Sekundogenitur. Die Stiftung kann aber auch in der
Art eingerichtet sein, daß die Sekundogenitur bei einer Theilung der ersten Linie
aus der zweiten in den neugebildeten Nebenarm der ersten überspringt. Die An-
wendung der oben dargestellten Grundsätze der Primogenitur auf die Sekundogenitur
ergiebt sich von selbst; ebenso läßt sich nach dem Gesagten das Verhältniß einer
etwaigen Tertiogenitur zur Sekundogenitur beurtheilen. Vgl. im Uebrigen den Art.
Familienfideikommiß.
Lit. u. Gsgb.: v. Salzau u. Lichtenau, Die Lehre von Familien-, Stamm= u. Ge-
schlechtsfideikommissen, § 68. — Wildner, Fideikommisse, 162. — Preuß. Allg. LR. II. 4
§§ 169 ff. — Oesterr. BGB. s§ 625. Heinrich Brunner.
Selbsthülfe. Eigenmächtige Geltendmachung eines Rechts. Im Verhältniß
der Staaten zu einander noch allgemein als legitim und als die normale Form
der Bekämpfung des Unrechts zu betrachten. Im Bereiche des internen staatlichen
Lebens dagegen nimmt sie neben der geordneten Rechtsverwirklichung durch die
Organe des Staates in der Hauptsache eine subsidiäre Stellung ein: sie erscheint
im Allgemeinen nur dort als zulässig, wo jene höhere Form der Rechtsverwirk-
lichung sich als unanwendbar darstellt. Im Einzelnen ist hier die defensive und
die aggressive S. zu unterscheiden.
Die defensive S., d. i. die eigenmächtige Abwehr eines rechtswidrigen
Angriffs, ist überall innerhalb gewisser, jedoch verschieden bestimmter Grenzen ge-
stattet. Im Allgemeinen ist zu bemerken, daß es dabei auf eine Verschuldung auf
Seiten des Angreifers nicht ankommt. Entscheidend ist vielmehr, daß der Angriff,
seinen objektiven Merkmalen nach, sich als ein rechtswidriger darstelle. Jene Sub-
sidiarität des Rechts der S. aber kommt darin zum Ausdruck, daß ein „gegen-
wärtiger“ rechtswidriger Angriff vorausgesetzt wird. Es gilt dies auch für die S.
dem Amtsmißbrauch gegenüber. Das Nähere gehört in die Lehre von der Noth-
wehr und dem Nothstande und von dem erlaubten Widerstande gegen die Staats-
gewalt. S. die betreffenden Art.
Die aggressive S. Von der Geltendmachung von Ansprüchen civilrecht-
licher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist hier die auf Erlangung einer Genugthuung
für erlittene Kränkungen gerichtete zu unterscheiden. Die letztere erscheint in der
Regel (vgl. indessen die §§ 199 u. 233 des Rötraf G.) als strafbar. Es gehört
hierher die Herausforderung zum Zweikampfe. Die erstere interessirt hier spezieller.
Dieselbe kann die verschiedensten Formen annehmen, je nach der Natur des Rechts,
um dessen Verwirklichung es sich handelt, und der Mittel, welche dem Berechtigten
hierzu dienlich scheinen. So kann sie die Form eines Angriffs gegen die persönliche
Freiheit des Schuldners haben, oder die eines Eingriffs in die Vermögenssphäre
des letzteren 2c. Sie ist (vom Völkerrechte abgesehen) nur innerhalb enger Grenzen
fanktionirt. Aus dem Civilrechte gehört insbesondere die, übrigens sehr verschieden
normirte, eigenmächtige Pfändung hierher. Außerhalb dieser Grenzen zieht sie möglicher-