732 Staatsanleihen.
Von den Deutschen Staaten bestimmte zuerst Bayern in der Verf. Urk. von
1818 im Titel VII. 8 11: „Zu jeder neuen Staatsschuld, wodurch die zur Zeit
bestehende Schuldenmasse im Kapitalsbetrage oder der jährlichen Verzinfung ver-
größert wird, ist die Zustimmung der Stände des Reiches erforderlich.“ Aehnliche
Bestimmungen enthalten die meisten übrigen Verfassungen. Einzelne derselben, z. B.
Sachsen § 105, geben der Regierung für besonders dringliche Fälle das Recht
ein Anlehn auch ohne vorherige Zustimmung der Stände aufzunehmen, jedoch vor-
behaltlich der Einholung nachträglicher Genehmigung, oder unter Anordnung einer
beschränkten Mitwirkung durch Ausschüsse, wie Baden, 8§ 5 und 63.
Ausnahmsweise findet sich die Bestimmung, daß der Schatzanweisungs-
verkehr freigegeben ist. So bestimmt Baden § 57, daß der Zustimmung der Stände
nicht unterliegen sollen: „Anlehen, wodurch etatsmäßige Einnahmen zu etatsmäßigen
Ausgaben nur antizipirt werden, sowie die Geldaufnahmen der Amortifationskasse, zu
denen sie, vermöge ihres Funktionsgesetzes, ermächtigt ist.“
In Preußen bestimmte schon die Verordn. vom 17. Januar 1820, welche
den Staatsschuldenetat auf immer für geschlossen erklärte, daß künftig die Aufnahme
neuer Darlehen „nur mit Zuziehung und unter Mitgarantie der künftigen reichs-
ständischen Versammlung geschehen solle“. Späterhin verordnete der Artikel 103 der
Verf. Urk. vom 31. Januar 1850: „Die Aufnahme von Anleihen für die Staats-
kasse findet nur auf Grund eines Gesetzes statt. Dasselbe gilt von der Uebernahme
von Garantien zu Lasten des Staates."“
Für das Deutsche Reich bestimmt der — auf einem Zusatz des Reichstags
beruhende — Artikel 73 der RVerf.: „In Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses
kann im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Ueber-
nahme einer Garantie zu Lasten des Staates erfolgen.“ Im Reich ist sonach ebenso
wie in Preußen die Aufnahme von Anleihen — in welcher Form, zu welchem Zweck
und aus welcher Veranlassung sie auch erfolgen möge — ohne Zustimmung der
Volksvertretung unzulässig und kann dieselbe insbesondere nicht im Wege der octroyirten
Verordnung stattfinden. Das Reich hat von der Anleihebefugniß zuerst zu Zwecken der
Erweiterung seiner Wehrkraft zur See und zum Küstenschutz (Bundesges. vom 9. Nov.
1867), zu Kriegszwecken (1870/71), zu internationalen Einrichtungen (Bau der St. Gott-
hardbahn; Gesetz vom We 130) und neuerdings zu verschiedenen Verwaltungs-
zwecken Gebrauch gemacht.
Die Verwaltung der S. ist besonderen Staatsbehörden anvertraut und unter-
liegt außerdem der Kontrole der allgemeinen Rechnungsbehörden (Oberrechnungs-
kammern). Im Deutschen Reich lehnen sich die einschlägigen Vorschriften materiell
und förmell an die entsprechenden Einrichtungen in Preußen an. In Preußen er-
ging nach Emanation der Verfassung das Gesetz vom 24. Februar 1850, betr. die
Verwaltung des Staatsschuldenwesens und die Bildung einer Staatsschuldenkommission.
Die Verwaltung des Staatsschuldenwesens leitet eine besondere Behörde, die sog.
„Hauptverwaltung der Staatsschulden“. Dieselbe ist dem Finanzminister unterstellt,
jedoch bezüglich gewisser namentlich die Verwaltung der Anleihen betreffenden Funk-
tionen selbständig und unbedingt verantwortlich. Dahin gehören besonders: die
An-- und Ausfertigung und Ausreichung der verzinslichen und unverzinslichen Staats-
schuldendokumente, die regelmäßige Verzinsung und unverkürzte Verwendung der zur
Schuldentilgung überwiesenen Fonds, die Löschung, Kassation und Aufbewahrung
der eingelösten Dokumente bis zu deren Vernichtung. Die „Hauptverwaltung der
Staatsschulden“ ist unter eine besondere Staatschuldenkommission gestellt (§§ 1 und
10 des Gesetzes vom 24. Febr. 1850), welche aus je drei Mitgliedern des Herren-
und Abgeordnetenhauses und dem Präsidenten der Oberrechnungskammer besteht.
Diese Kommission kontrolirt den Geschäftsbetrieb der Hauptverwaltung, insbesondere
der Staatsschuldentilgungskasse, und erstattet beiden Häusern des Landtages ab-