Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

740 Staatsanwaltschaft. 
wesentlich betheiligte Justizverwaltungsbehörde. Für die Mehrzahl der Europäischen 
Staaten ward die Einrichtung der Frang. S. vorbildlich: so in Italien, Belgien, 
Holland und am linken Rheinufer, wo sich das Franz. Recht erhielt. Nur in be- 
schränkter Weise gelangte die S. vor 1848 innerhalb der Deutschen rechtsrheinischen 
Gesetzgebung zur Anwendung (Bayern 1831, Württemberg 1843, Baden 1844, 
Preußen, Verordn. vom 28. Juni 1844 für Ehesachen). Nach 1848 wurde die 
S. im Zusammenhang mit der Einführung eines öffentlichen und mündlichen Straf- 
verfahrens und der Schwurgerichte als Anklagebehörde zu einem wesentlichen 
Bestandtheile des reformirten Strafverfahrens, dessen Schicksale sie in den Jahren 
der Bewegung vielfach theilte. Im Einzelnen bestanden in den nach 1848 ergangenen 
Deutschen StrasP O. und Strafprozeßgesetzen mannigfache Verschiedenheiten, je nachdem 
man sich dem Französischen Muster mehr annäherte, oder nicht. So hat in 
Hannover und in Bayern die S. sehr weitreichende Funktionen erhalten, während 
in Sachsen und Braunschweig der Wirkungskeis derselben mehr eingeschränkt blieb. 
Die Juristentagsverhandlungen, von 1860 beginnend, enthalten ein umfassendes, die 
Organisation der S. behandelndes Gesetzgebungsmaterial. Die Versuche, die S. 
wiederum zu beseitigen, fanden ebensowenig Anklang und Unterstützung, wie die 
Vorschläge, die Rheinisch-Französischen Einrichtungen allgemein anzunehmen. Die 
Deutsche Strafp O. und das GW. haben den Typus der Franz. S. nicht verwischt, 
in zahlreichen Einzelheiten aber das in Frankreich begründete Uebergewicht der S. 
über die Richterkollegien und den Angeklagten ermäßigt. Eine von Frankreichs 
Muster völlig unabhängige Gestalt erhielt die Strafverfolgungsbehörde in Irland, 
Schottland und Nordamerika. Nach langem Widerstreben führte auch England 1879 
öffentliche Ankläger unter dem Titel des Director of Public prosecutions ein. 
Der Unterschied im Vergleich zur Schottischen S. zeigt sich darin, daß die Regierung 
für England eine centrale Amtsstelle mit einer Anzahl von Gehülfen ausrüstet zu 
dem Zwecke, im Nothfalle einzuschreiten, wenn die Privatanklage dem Rechtszwecke 
ausnahmsweise nicht entsprechen sollte. Die S. in England hat also eine subsidiäre 
Funktion, indem sie Unterlassungsfehler der grundsetzlich beibehaltenen Privatanklage 
korrigiren soll (42, 43 Victoria c. 22 Prosecution of offences Act). Die Grund- 
sätze, nach denen die Neuordnung der S. in Deutschland bei der Kodifikation der 
Prozeßgesetze und der Gerichtsverfassungsnormen erfolgte, beruhen auf einem doppelten 
Kompromiß, zunächst zwischen weitergehenden Reformforderungen, welche die Unab- 
hängigkeit der S. oder der Einschränkung durch allgemeine Zulassung der subsidiären 
Privatanklage befürworteten und dem administrativen Interesse der Staatsregierung. 
Andererseits zweitens kam die Schwierigkeit in Betracht, daß der einheitlichen Recht- 
sprechung des Reichsgerichts gegenüber die Selbständigkeit der höchsten Justizver- 
waltungsstellen in den einzelnen Deutschen Staaten gewahrt werden sollte. 
Daraus ergab sich die Unmöglichkeit der streng einheitlichen Durchführung 
einer gemeinsamen Ordnung. Nur die Reichsanwaltschaft ist rechtlich und admini- 
strativ nach allen Richtungen hin einheitlich innerhalb eines sachlich beschränkten 
Wirkungskreises eingerichtet. Die S. in den einzelnen Ländern folgt in ihren 
Funktionen theils landesrechtlichen, theils reichsrechtlichen Normen. Letzteren insoweit, 
als von Reichswegen den Landesgesetzgebungen Beschränkungen bezüglich der der 
S. zu gebenden Verwendung auferlegt sind, oder das einheitlich geordnete Gebiet 
der Strafprozeßfunktionen vor den ordentlichen Gerichten innerhalb ihrer reichsrechtlich 
festgestellten Kompetenz in Betracht kommt. 
II. Funktionen der S. Drei Hauptrichtungen sind es, in denen die S. 
nach den Grundsätzen des Französisch-Deutschen Rechts wirksam wird: 1) Civil- 
prozessualische. Nach Franz. R. gilt das ministere public als „Wächterin 
des Gesetzes“ und ist somit theils berechtigt, theils verpflichtet, den Richter zu 
kontroliren, für die Wahrung der Rechtseinheit zu sorgen und die äußere Ordnung 
des Geschäftsganges zu sichern. Aus diesem Gesichtspunkte erklärt sich die Hinein-
	        
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