Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

744 Staatsanwaltschaft. 
6) Die prozessualische Stellung der S. gegenüber dem Richter 
und dem Angeklagten hängt von der Beantwortung der Vorfrage ab: Ist 
die S. im Straf Prz. als eine Partei anzusehen oder nicht? Die darauf gegebene 
Antwort lautet sehr verschieden, je nachdem man sich durch den Franz. Grund- 
satz des Wächteramts der S. oder auch dadurch blenden ließ, daß die S. 
gleichzeitig für den Schutz Unschuldiger zu sorgen, oder Rechtsmittel zu Gunsten 
eines Verurtheilten einzulegen berufen würde. Wäre die S. nicht der Gefahr ein- 
seitiger Parteilichkeit in höherem Maße als der Richter ausgesetzt, so wären die 
schon in dem Ermittelungsverfahren der S. gezogenen Schranken nicht zu recht- 
fertigen. Das Gesetz selber kann den in der Natur der Dinge liegenden Partei- 
charakter der S. nur verdunkeln und verwischen, aber durch anderweitige Bezeich- 
nungen nicht aufheben (anderer Meinung: John). Die Stellung einer ständigen 
Behörde schließt deren prozessualischen Parteicharakter nirgends aus. Nur das ist 
richtig, daß die S. nicht in dem Sinne Parteüinteressen als eigene und persönliche 
vertritt, wie der Angeklagte selber. Dadurch, daß die S. bei der Betreibung einer 
Anklage von der Suppofition der Schuld in einem noch ungewissen Falle ausgeht 
oder eine dem Angeklagten nachtheilige. Gesetzesauslegung vor Gericht vertritt, wird 
sie nothwendig zur Prozeßpartei vor Gericht. Somit ergiebt sich, daß in der Haupt- 
verhandlung der Grundsatz der Gleichberechtigung unter den Prozeßparteien gelten 
muß. Das Deutsche StrafPrz.R. hat in diesen Stücken die erheblichsten Ungerechtig- 
keiten des Franz. Rechts ausgeglichen, und den Forderungen der sog. „Waffen- 
gleichheit“ zwischen S. und Vertheidigung wichtige Einräumungen gemacht. Ob 
die S. während der Hauptverhandlung der Sitzungspolizei und in Fällen der Aus- 
schreitung auch der Rüge des Gerichtsvorsitzenden unterworfen sei, ist schon in Frank- 
reich streitig gewesen und auch durch die Deutsche Straf P O. nicht entschieden worden. 
Daß in dem Rechte des Vorsitzenden, die Gerichtsverhandlungen zu leiten, die Be- 
fugniß enthalten ist, störenden Einflüssen auch solcher Personen, die seiner Disziplin 
nicht unterstellt sind, mit geeigneten Mitteln hindernd entgegenzutreten, erscheint 
kaum zu bezweifeln. Auf der anderen Seite folgt aus der Koordination der S. 
neben den Gerichten, daß Ordnungsstrafen gegen dieselbe nicht verhängt werden. 
Was die Stellung der S. zum Beschuldigten anbelangt, so ist es theoretisch 
streitig, ob Beamte der S. abgelehnt werden können. Ist die S. als Prozeß- 
partei gesetzlich anerkannt, so ergiebt sich daraus nothwendig, daß die Ablehnung 
unzulässig sein müßte. Da das Franz. Recht auf der anderen Seite die Rechts- 
fiktion der Unparteilichkeit auf die S. überträgt, müßte diese auch aus denselben 
Gründen abgelehnt werden können, aus welchen ein Richter an der Entscheidung 
eines einzelnen Falles auszuschließen ist. Aus unzureichenden Gründen ist in Deutsch- 
land die Ablehnung staatsanwaltschaftlicher Personen ausgeschlossen. Richtiger ist 
die Auffassung des Belg. GVG. vom 18. Mai 1869, wonach den Beamten der S. 
in den ihre Unparteilichkeit gefährdenden Fällen die Pflicht der Selbstenthal- 
tung auferlegt wurde. 
III. Organisation der Staatsanwaltschaft. Nach den Grundsätzen 
des Franz. Rechts, denen man auch gegenwärtig in Deutschland trotz mannigfacher 
Bedenken treu geblieben ist, empfing die S. eine sog. büraukratische, d. h. 
nicht kollegiale, hierarchische Amtsverfassung. Jeder staatsanwaltschaftliche Beamte 
ist verpflichtet, den Weisungen seiner Vorgesetzten nachzukommen und seine persönliche 
Ueberzeugung in der Beurtheilung eines einzelnen Rechtsfalles unterzuordnen. Ebenso 
kann der Vorgesetzte jede Sache aus den Händen seiner Untergebenen an sich ziehen; 
diese Regel geht jedoch niemals so weit, daß ein von der S. gestellter Antrag durch 
vorgesetzte Beamte ungeschehen gemacht werden könnte. Als höchste vorgesetzte Be- 
hörde der Landes-S. erscheint, wie in Frankreich, das Justizministerium, oder, wo 
ein solches in eigener Abgrenzung nicht besteht, diejenige Landesregierungsstelle, der 
die Aufsicht über den Gang der Rechtspflege obliegt. Im Uebrigen sind die einzelnen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.