Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Steuerpflicht. 789 
Die „Oberkeiten“ betrachten es fortan als ihr Recht, ihre Unterthanen nach Bedürfniß 
zu den Reichsauflagen heranzuziehen, — eine Anschauung, die sich dann in den 
Territorialstaaten fortsetzt. 
Inzwischen hatten sich in den größeren Territorien die landständischen 
Verfassungen im 15. Jahrhundert voll entwickelt. Nirgends reichten die eigenen 
landesherrlichen Einkünfte mehr aus, um die Kosten des Hofhalts und der Landes- 
verwaltung zu bestreiten. Auch die Entlastung, welche die fürstlichen Hofkammern 
seit dieser Zeit durch massenhafte Verleihungen der „Gerichts= und Kirchenlehne“" 
an einfache Rittergüter und andere Grundbesitzer seit dieser Zeit zu verschaffen suchen 
(aus denen sich seit dem 15. Jahrhundert der sog. Patrimonialstaat entwickelt), haben 
nicht genügt ein chronisches Defizit zu verhüten. Die landesherrlichen Verwaltungen 
kommen dadurch in Abhängigkeit von periodischen Beiträgen, welche sie von ihren 
Rittern, Prälaten und Städten als precaria (Beden) nachzusuchen haben. Dies 
ungeregelte Verhältniß freier Geldbewilligungen ist nun aber in Deutschland (im 
Gegensatz der Englischen Entwickelung) nicht die Grundlage allgemeiner bürgerlicher 
Freiheitsrechte, sondern nur die Quelle von Privilegien für die in den Land- 
ständen vertretenen „Oberkeiten“, die Handhabe zur Herabdrückung der bäuerlichen 
Bevölkerung und des Passivbürgerthums in den Städten geworden. In diesen 
landständischen Steuersystemen kehren nunmehr die ständischen Grundideen des 
Reiches wieder. Ritterschaft und geistliche Herren sehen von Hause aus die Landes- 
steuern nicht als Lasten an, welche mit gleichen Schultern zu tragen seien. Sie 
fühlen sich vielmehr als ein Herrenstand gleichartig dem Reichsadel, besonders seit 
der massenhaften Verleihung der Gerichts= und Kirchenlehne. In der Steuerzahlung 
wie im Gericht wurde der Gedanke immer unerträglicher, die Herren neben die Unter- 
thanen als Träger „gemeiner“ Lasten zu stellen. Wie im Reich, schoben sich auch 
hier massenhaft die selbständigen „Oberkeiten“ des Orts dazwischen, welche allein 
im Stande waren, Abgaben unter ihre Unterthanen zu vertheilen und zu erheben. 
Auch die territorialen Abgaben vertheilen sich demgemäß nach „Land und Leuten,“ und 
wie im Reich halten die Oberkeiten sich selbst von neuen Lasten frei, da sie für Heer, 
Gericht und Friedensbewahrung die normalen Lasten bereits zu tragen glauben. Gleich- 
zeitig mit der S. entsteht daher die Grundidee der Steuerfreiheit der höheren 
Stände, welche als hergebrachtes Standesrecht auch fortdauert, wo seit den Zeiten 
des Westfälischen Friedens die landständischen corpora in Ruhestand versetzt wurden. 
Die Steigerung der Staatsbedürfnisse durch die stehenden Heere im 1 8. Jahr- 
hundert hat diese Vertheilung der S. zu immer schwereren Mißverhältnissen ge- 
führt, die mit der höchsten Steigerung des Staatsbedarfs am stärksten gerade in 
Preußen hervortraten. Die Nothwendigkeit eines festen Staatseinkommens führt 
jetzt auf dem platten Lande zu einer festen Vertheilung der direkten Geldabgaben 
auf die bäuerlichen Hufen. In der Vertheilung auf die „kontribuablen Hufen“ 
werden diese Steuern zu Spezialobjektsteuern, mit denen sich allmählich die 
Idee einer Grundrente verbindet. Den Stadtverwaltungen wird zur Erleichterung 
der S. die Aufbringung der landesherrlichen Abgaben durch „Accisen“ in weitestem 
Maße gestattet. Da die bevorzugten Klassen nach dem Verlust der politischen Rechte 
um so eifersüchtiger auf ihren Privilegien und Steuerfreiheiten bestanden, die Bedürf- 
nisse des Staats aber sich immer weiter vervielfältigten: so blieb den aufsgeklärten 
Regierungen kein anderer Ausweg übrig, als nach dem Merkantilsystem Arccisen, 
Licente, Monopole immer weiter zu vervielfältigen, damit früher unerhörte Geld- 
massen aus den Städten herauszuziehen, daneben auch die bäuerlichen Steuerlasten 
durch Zuschläge zu erhöhen (soweit es die zerrissene Lage der Territorien gestattete, 
auch die Außenzölle zu steigern) und damit schrittweise eine Lähmung aller Erwerbs- 
thätigkeit und eine Entwerthung des Grundbesitzes herbeizuführen, die im Beginn 
des 19. Jahrhunderts als Folge der überwuchernden indirekten Besteuerung die 
Volkswirthschaft Deutschlands charakterisirt. 
 
	        
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