84 Polizeiverordnungen.
glocke, Rathsglocke) ist zum Eintritte der P. nicht mehr erforderlich (Verfügung des
Preuß. Min. des Innern und der Polizei vom 7. April 1839); andererseits er-
streckt sich letztere nur auf Schankgäste, nicht auf Privatgäste (O Trib. Erk. vom 25.
Juni 1879) und Ouartiergäste (Oppenhoff, zu § 365 N. 8), nicht auf die den
Reisenden dienenden Eisenbahn-Restaurationslokale und auf die Lokale geschlossener
Gesellschaften (Württemb. Verfügung § 2), dagegen auf die von eeiner geschlossenen
Gesellschaft unter Aufhebung des allgemeinen Zutrittsrechts ermietheten Lokalitäten
eines Wirthshauses, mindestens sofern die Ermiethung keine ständige ist (Plenar-
erkenntniß des Bayer. obersten Gerichtshofs vom 28. Juli 1875; Stenglein,
Zeitschr., Bd. 5 S. 42 der neuen Folge). Wer in einer Schankstube oder an einem
öffentlichen Vergnügungsorte über die gebotene P. hinaus verweilt, ungeachtet der
Wirth, sein Vertreter oder ein Polizeibeamter ihn zum Fortgehen aufgefordert hat,
wird mit Geldstrafe bis zu 15 Mark bestraft; der Wirth, welcher das Verweilen
seiner Gäste über die gebotene P. hinaus duldet (über die an den Wirth zu stellenden
Anforderungen vgl. Oppenhoff, Nr. 7; v. Schwarze, Nr. 4; Bayer. Erk. vom
20. Nov. 1875; Samml., Bd. 5 S. 516), wird mit Geldstrafe bis zu 60 Mark
oder mit Haft bis zu 14 Tagen bedroht (Rötraf GB. § 365). — In Oesterreich
erfolgt die Festfetzung der P. (Sperrstunde) entweder für das ganze Kronland oder
eine einzelne Ortschaft und entweder allgemein oder für eine bestimmte Zeitperiode.
Polizeistrafe trifft den Wirth auch dann, wenn er seine Lokalitäten zur bestimmten
Stunde nicht schließt, die Gäste erst, falls sie, obgleich der Wirth von einem Sicher-
heitsorgane bereits fruchtlos an die Erfüllung seiner Pflicht hinsichtlich der P.
erinnert worden ist, sich nach dieser Stunde aus jenen Lokalitäten auch dann noch
nicht entfernen, wenn ein Sicherheitsorgan die Aufforderung hierzu unmittelbar an
sie selbst gerichtet hat (Ministerialverordn., betr. die Festsetzung der P., vom 3. April
1855, R.G.Bl. N. 62). — Auch in Frankreich lokale Regelung; dagegen in Eng-
land allgemeine durch die Licensing Act von 1874. Leuthold.
Polizeiverordnungen. Der weite Umfang und die gesetzähnliche Wirkung
der P. im heutigen Verwaltungsrecht steht im Zusammenhang mit sehr alten Ver-
hältnissen der Deutschen Reichs= und Landesverfassung. In den Aemtern der Karo-
lingischen Verfassung lag von Hause aus die Befugniß, als Obrigkeit zu gebieten
und zu verbieten und die Gebote durch eine Zwangsbuße (muleta) zu erzwingen, die
nach der Höhe des Amts (als Königsbann, Herzogsbann, Grafenbann, Schultheißen-
bann) verschieden abgemessen war. Aus dem Recht des Zwangsgebots im ein-
zelnen Fall folgte das Recht des Zwangsgebots für alle Fälle gleicher Art, also
das Verordnungsrecht, von welchem schon die Kapitularien der Karolingischen
Dynastie den ausgiebigsten Gebrauch gemacht haben. Nur zu solchen Verordnungen,
durch welche das hergebrachte Volksrecht (einschließlich des hergebrachten Gerichts-
verfahrens) geändert werden sollte, bedurfte es der Zustimmung der optimates terrae,
um diesen Verordnungen auch in den Volksgerichten die Folgeleistung zu sichern.
Die consensu optimatum erlassenen Verordnungen haben die höhere Autorität einer
„lex“, durch welche auch die lex terrae abgeändert werden kann. Da die Ge-
richte über den freien Mann nur in einem judicium parium secundum legem
terrae Recht sprechen, so übertrug sich derselbe Grundsatz auch auf die Verord-
nungen der Landesherren, und schon auf dem Wormser Reichstage von 1231
wurde der folgenreiche Satz anerkannt, daß die domini terrae constitutiones vel
nova jura facere non possunt, nisi meliorum et majorum terrae consensus pri-
mitus habeatur. In Deutschland wie in England haben sich im Laufe der Jahr-
hunderte diese berathenden Notablen (meliores) später zu Parlamenten, bzw. Land-
ständen formirt, woraus der Begriff der parlamentarischen Gesetze, als der „Ver-
ordnungen mit Zustimmung der Landesvertretung“ hervorgegangen ist.
Der Erlaß allgemeiner Friedensgebote, welche keine Aenderung des
Volksrechts enthalten, lag hiernach von Hause aus im Gebiet des Königl. Ver-