Polizeiverordnungen. 85
ordnungsrechts. Wenn dennoch wichtige Erlasse dieser Art consensu optimatum
ergangen sind, so beruhte dies nur darauf, daß die praktische Wirksamkeit solcher
Gebote vor allem von der Mitwirkung der mächtigsten Reichsstände abhängig war,
deren Beistimmung eben deshalb werthvoll und schwer entbehrlich erschien. Analog
war die Stellung der Herzöge und anderer domini terrae, wenn sie als Gerichts-
obrigkeiten Friedensgebote erließen. Wenn ihre Landespolizeiordnungen und Landes-
polizeigesetze häufig consensu der Landstände erlassen wurden, so geschah es, um
ihre praktische Wirksamkeit zu sichern. Grundsätzlich nothwendig war diese Zu-
stimmung nicht, und in diesem Gebiete um so weniger, als die meisten dieser Gebote
auf Beschlüssen des Reichstags beruhten, deren Ausführung den geistlichen, weltlichen
Fürsten und anderen Reichsständen auf das nachdrücklichste zur Pflicht gemacht war,
so daß die große Mehrzahl jener Erlasse sich nur als Ausführungsmaßregeln
der Reichsgesetze darstellen. Die umfassende Uebersicht der landständischen Ver-
fassungen, wie sie namentlich Moser giebt, läßt nirgends einen festen Grundsatz
über die Betheiligung der Landstände an P. erkennen, die vielmehr durchaus un-
gleichmäßig, von Zeit= und Ortsverhältnissen abhängig erscheint. In den kleinen
Territorien, wo sich keine landständische Verfassung entwickeln konnte, sowie in den
großen Territorien, wo die Landstände seit dem dreißigjährigen Kriege in Ruhestand
traten, blieb ohnehin nichts übrig, als den landesherrlichen Verordnungen legis
vicem beizulegen, so weit der Landesherr durch die Bezeichnung, durch den Inhalt
und durch die feierliche Verkündung den Willen aussprach, daß ein Erlaß als eine
lex in perpetuum valitura gelten solle.
Die lebendige Quelle für die zahlreichen Normen der Polizeigewalt war und
blieb hiernach nicht sowol die formelle Gesetzgebung als das Verordnungsrecht
der Obrigkeit. Durch die zahlreichen Verleihungen der Gerichtslehne an Landesprälaten,
Städte, Korporationen, Rittergüter, ging das Verordnungsrecht auch auf die unteren
Stufen des Patrimonialstaates über, und wurde zwar den Gutsobrigkeiten hier und
da bestritten, in der Praxis jedoch meistens durchgesetzt.
Nach der Weise der Ausführung scheiden sich nun aber die Polizeinormen
nach Vorgang der Reichsgesetze in zwei scharf geschiedens Klassen, welche ich mit
den Ausdrücken Polizeistrafnormen und Polizeiverwaltungsnormen scheide.
Die Polizeistrafnormen richten sich direkt an die Unterthanen, und
umfassen solche Maßnahmen, bei denen es zur Erreichung des polizeilichen Zweckes
ausführbar erscheint, bestimmte Handlungen oder Unterlassungen der Unterthanen
unmittelbar und unbedingt zu gebieten oder zu verbieten, sei es mit Androhung
einer bestimmten Geldbuße oder Haft, sei es mit unbestimmter Verweisung auf
obrigkeitliche Ahndung (arbiträre Strafe).
Die Klasse der Polizeiverwaltungsnormen dagegen richtet sich nicht an
die Unterthanen, sondern an die subordinirten Obrigkeiten, macht denselben die
Durchführung bestimmter Aufgaben zur Pflicht, und kommt demgemäß durch Aus-
führungsdekrete nach vorgängiger Prüfung des Einzelfalls zur Geltung. Das Eng-
lische Verwaltungsrecht hat diese Ausführungsdekrete unter dem Namen orders, das
neuere Deutsche Verwaltungsrecht unter dem Namen „Polizeiverfügungen“ zu einem
Hauptgebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit gestaltet.
Die Ausführung der Polizeistraf normen dagegen gestaltete sich, analog der
summarischen Strafjustiz, für geringere Straffälle. Als der praktisch wichtigste Ge-
sichtspunkt erschien dabei die Frage, wer die Kosten zu tragen, und wer die Bußen
und sonstigen Einkünfte beziehen sollte. In diesem Sinne wurden die Polizeistraf=
fälle in der Regel zur jurisdictio bassa gerechnet, und bildeten ein regelmäßiges
annexum der Stadtgerichte und patrimonialen Ortsobrigkeiten, bei denen diese
polizeilichen Funktionen nach alter Weise als ein Bestandtheil des Gerichts blieben.
Als demnächst mit dem Fortschreiten des gelehrten Richterthums auch diese kleinsten
Justizstellen allmählich mit einigermaßen rechtskundigen Gerichtshaltern besetzt wurden,