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atgeschlossenen Vertrag wenigstens einige föderalistische Keime gewahrt sind,
daß aber ein Mehreres, wie die Verhältnisse nun einmal sich entwickelt
baten, nicht zu erreichen war und bei längerem Zuwarten in Zukunft vor-
Dxhnssichtlich noch weniger zu erreichen sein würde. Betrachtet man aber die
Kehrseite, so zeigt sich, daß, abgesehen von der konserrativen Partei, in Nord-
deutschland und bei einem namhaften Bruchtheile der süddeutschen Bevölke-
anng entschieden unitarische Tendenzen vorherrschen. In Norddeutschland er-
schallt — wie die Verbandlungen des Norddeutschen Reichstages und die
Kundgebungen der Tagespresse zeigen — vorwiegend die Klage, daß die Ver-
fassung des Norddeutschen Bundes so, wie sie durch die Verträge mit den
säürdeutschen Staaten, insbesondere mit Baiern abgeändert werden solle, dem
foderalistischen Elemente viel zu weit gehende Konzessionen mache. Man
bat dabei namentlich die Bestimmungen über die bei Verfassungsänderungen
in Zukunft erforderliche Stimmenzahl (Art. 78), das Erforderniß der Zu-
stimmung des Bundesrathes bei Kriegserklärungen im Namen des Bundes
(Art. 13) und den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten im Auge (Art. 8).
Die Mehrzahl der Stimmen in Norddeutschland ist ron Mißtrauen, Abnei-
gung und unverhohlenem Widerwillen gegen die vereinbarten Abänderungen
der Bundesverfassung erfüllt, man ist kaum zweifelhaft darüber, daß Preußen
zu seinem offenbaren künftigen eigenen Schaden und zum Schaden des neuen
Zundes allzu entgegenkommend und nachgiebig gewesen sei, und man er-
wartet es kaum anders, als daß die süddeutschen Staaten, trotz ihrer in dem
Kriege mit Frankreich bewiesenen opferwilligen Bundestreue, die ihnen ge-
währten Zugeständnisse zum Nachtheile des Bundes mißbrauchen würden.
Daneben ist man geneigt, in der Separatstellung, die insbesondere Baiern
bewilligt worden ist, eine so bedenkliche Verlängnung der Grundprinzipien
der Bundesverfassung zu erblicken, daß man emnstlich die Frage aufwirft
md nicht selten auch bejaht: ob es nicht besser gewesen wäre, wenn man
jede Verhandlung mit Baiern abgebrochen und es, bis auf besseres Besinnen,
einstweilen seinem „verdienten Schicksale der Isolirung“ überlassen hätte?
Gleichwohl ist die Verfassung des neuen Bundes so, wie sie nach den Ver-
tägen mit den süddeutschen Staaten abgeändert werden soll, von unwesent-
lichen redaktionellen Modifikationen abgesehen, von dem Reichstage des Nord-
deutschen Bundes mit überwiegender Majorität angenommen worden, nach-
dem zuvor sämmtliche, vorwiegend in antiföderalistischem Sinne gestellte
mendements verworfen, beziehungsweise zurückgezogen worden waren. Wie
es zu diesem Ergebnisse gekommen, das ist bekannt. In voller Würdigung
der Bedenken, welche gegen den Inhalt der einzelnen Verträge, inebesondere
des baierischen Vertrages, erhoben worden sind, hat die Majorität des Reichs-
tages es gleichwohl für ihre unabweisbare Pflicht gehalten, ihrerseits dem
Zustandekommen der nationalen Einigung auf Grund jener Verträge kein
Hinderniß zu bereiten. Der Berichterstatter glaubt nicht zu irren, wenn er
annimmt, daß auch die hessische Kammer sich diesem Vorgange anschließen