Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Nenrath. 575 
Minorität in durchgreifender Weise wirkungslos macht und welches dadurch 
den Wünschen der Mehrheit rasch und kurz zur Realisirung verhilft, mag 
etwa da gerechtfertigt erscheinen, wo eine wesentliche Gleichheit der 
Interessen zwischen den zur Abstimmung Berufenen vorausgesetzt werden 
darf, we es sich deshalb mehr nur darum handelt, dem auf die gleichen 
Voraussetzungen zu bauenden Urtheil der Mehrheit ein Uebergewicht über 
das Urtheil der Minderheit beizulegen. Wo aber erhebliche Verschiedenheit 
der Interessen besteht, läuft bei solchem Verfahren die Minderheit nolh- 
wendig Gefahr, in ihren Interessen auf's Tiefste geschädigt zu werden. 
Bezüglich einer Mebrzahl der Gegenstände nun, welche nach den Verträgen 
auf immer der gemeinsamen Gesetzgebung des neuen Deutschen Reiches 
zugewiesen werden sollen, besteht zwischen unserem engeren Vaterland und 
einem großen Theile des übrigen Reiches eine Verschiedenheit der Interessen 
so namentlich in Fragen, welche die Verbrauchssteuern, die Zölle den Handel, 
die Seeschifffahrt betreffen. Schon die geographische Lage begründet diese 
Verschiedenheit. Während ein Haupttheil der Ländermasse des bisherigen 
Norddentschen Bundes längs der Ostsee und Nordsee sich hinstreckt, ragen 
die süddeutschen Königreiche und Baden weit nach dem Süden hervor. 
Daraus ergeben sich für beiderlei Theile neben maucherlei Verschiedenheit 
des Klimas, der Produkte, der gewerblichen Verhältnisse, der Lebensweise, 
namentlich auch verschiedene Nachbarstaaten und sehr verschiedene Handels- 
beziehungen. Es sind ferner in den einzelnen Staaten die inneren Ver- 
fassungsverhältnisse, die Organisation der Behörden, die Sitten und Ge- 
wohnheiten des Volkes vielfach verschieden. Was in dem einen Staate 
nur als Bestätigung des längst Bestandenen sich darstellt, macht in dem 
andern umfassende Aenderungen nöthig. Solche Verschiedenheiten hätten 
weniger zu bedeuten, wenn die sich entgegenstehenden Staaten oder Bevöl- 
kerungen mit ungefähr gleichem Gewichte auf die Entscheidungen des künf- 
tigen Deutschen Reiches über die betreffenden Fragen einzuwirken hätten, 
wenn dadurch für die Einzelnen Aussicht entstände, im Wege gegenseitiger 
Konzessionen billige Ausgleichung zu erlangen. Aber eines solchen Ver- 
hältnisses hat sich Süddeutschland nicht zu erfreuen. Preußen kann durch 
die ihm unmittelbar zustehenden Stimmen und durch die Gewalt seines 
Einflusses auf eine Mehrzahl der im Norddeutschen Bunce begriffenen 
kleineren Staaten überall, wo ihm daran liegt, fast unbedingt sicher sein, 
seinen Willen im Bundesrathe durchzusetzen. Die Gesetze über Zölle und 
Verbrauchsabgaben können sogar verfassungsmäßig (Art. 35) ohne seine 
Zustimmung nicht geändert werden. Wo also die Interessen des Südens 
und des Nordens nicht harmoniren, wird es immer sehr schwer sein, jenen 
zur Geltung zu verhelfen. Diese Schwierigkeit wird noch durch einen 
weiteren Grund vermehrt. Nach der vorgeschlagenen Bundesverfassung 
bleibt sowohl den süddeutschen Staaten als Preußen je ihre eigene Staats- 
verwaltung; neben oder über beiden aber steht die Bundesverwaltung, deren
	        
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