Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

122 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
sondern durch die ständische Stellung der Parteien bestimmt wurde. Die Niedergerichte ver- 
loren jede Kompetenz über sendmäßige Leute. Diese zogen die (höheren) Landgerichte an sich 
während die Untergerichte (niederen Landgerichte) den Blutbann über die geringeren Be- 
völkerungsklassen und die Gerichtsbarkeit über bäuerliches Eigen erlangten. Aus den Land- 
gerichten, denen die Landesherren persönlich vorsaßen, oder auch aus den alten Landfriedens- 
gerichten entwickelten sich als Gerichte für den Adel und als Berufungsgerichte landesfürstliche 
Hofgerichte, an welchen zur Vertretung der Fürsten ständige Hofrichter bestellt wurden. 
Ihren Ausbau erhielt die Verfassung der Territorien durch die Entwicklung der Land- 
stände. Wie die Könige, pflegten auch die Fürsten auf ihren Hoftagen, zu welchen sie Hoffahrt 
geboten, Landesangelegenheiten mit den Großen des Landes (maiores terrae) zu beraten. Im 
Anschluß an diese Hoftage bildete sich, gefördert durch die steigende Geldnot der Landesherren 
und durch Einungen, welche die Herren, Ritter und Städte eingingen, die landesständische Ver- 
fassung aus. Das wichtigste Organ der Landstände wurden die Landtage, regelmäßige ständische 
Versammlungen mit dem Rechte der Mitwirkung in wichtigeren Angelegenheiten des Landes. 
Das Recht der Landstandschaft erwarben die geistlichen und die weltlichen Großgrundbesitzer 
(Prälaten und Herren), die Ritterschaft und die Städte, nur ausnahmsweise auch die Bauern. 
Den Kern der landständischen Rechte bildete die Bewilligung von Steuern (Beden), die von 
den Ständen, namentlich bei finanziellen Verlegenheiten der Landesherren, zur Erringung 
weitgehender Befugnisse ständischer Mitregierung benutzt wurde. Das Emporkommen der 
Landstände hatte zwar eine vorübergehende Schwächung der landesherrlichen Gewalt zur Folge; 
es führte in manchen Territorien sogar zu lehnrechtlichen Rückbildungen auf dem Gebiete des 
örtlichen Amterwesens und zu einer Steigerung der Grundherrlichkeit, da die Landesherren, 
um die Großen des Landes bei guter Laune zu halten, ihnen die kleinen Leute preisgeben mußten. 
Andererseits aber bewirkte die bewußte Interessengemeinschaft der führenden Klassen eine 
stärkere Abschließung des Landes nach außen und damit eine Konsolidierung der Einheit und 
Selbständigkeit des Territoriums. 
§s 40. Staatsrechtliche Sonderbildungen. Einzelne von den Ubergangsformen, welche 
die Umbildung der Amtsgewalt zur Landeshoheit, des Amtsbezirks zum Territorium durch- 
machte, erhielten sich in verschiedenen Gegenden des Reiches länger als anderwärts und gaben 
daselbst den Anlaß zur Ausbildung eigenartiger Institutionen. Hier und da bewahrten die 
höheren Gerichte den unmittelbaren Zusammenhang mit Kaiser und Reich und stellten sich 
dadurch in Gegensatz zu den rein territorial gewordenen Gerichten. Das war insbesondere 
der Fall im Herzogtum Westfalen, wo nach der Achtung Heinrichs des Löwen der Erzbischof 
von Köln die herzogliche Gewalt erlangt hatte, und in den Bistümern Münster, Osnabrück und 
Minden. Länger als anderwärts blieb hier das Erfordernis der königlichen Bannleihe für die 
höheren Richter, die sogenannten Freigrafen in Kraft. Dies bot den Ausgangspunkt für die 
eigenartige Verfassung der Femgerichte, die auf Grund eines Geheimbundes nur mit Wissenden 
besetzt sein durften, d. h. mit Personen, die in die Geheimnisse der Feme eingeweiht waren. 
Als königliche Gerichte legten sich sie die Befugnis bei, im ganzen Reiche zu richten, wenn der 
ordentliche Richter das Recht zu gewähren nicht willens oder nicht imstande war. Im 14. Jahr- 
hundert haben die Femgerichte durch prompte Strafjustiz eine heilsame Wirksamkeit entfaltet. 
Allein die schrankenlose Macht, die sie schließlich erlangten, führte zu Mißbräuchen und Über- 
griffen. Städte und Fürsten vereinigten sich zu gemeinsamer Abwehr. Die allgemeine Re- 
form des Strafverfahrens machte ihr Eingreifen in die Justiz auswärtiger Gerichtsbezirke ent- 
behrlich. So teilten sie denn endlich das Schicksal, das die meisten anderen Gerichte bei Königs- 
bann bereits viel früher erlitten hatten. Sie wurden seit dem 16. Jahrhundert zu landes- 
herrlichen Gerichten herabgedrückt, als welche sie bis ins 19. Jahrhundert mit einer sehr ver- 
kümmerten Kompetenz ihr Fortleben fristeten. 
Reichsvogteien, seit der Ausbildung der Städteverfassung in Stadt= und Landvogteien 
geschieden, bestanden nicht nur auf Reichsgütern und in Reichsstädten, sondern auch dort, wo 
der König als Obervogt einer Kirche das Recht bewahrt hatte, den Vogt zu ernennen. Reichs- 
vögte erhielten auch einzelne Gebiete, in denen es gelang, die Ausbildung einer erblichen Graf- 
schaft zu verhindern. Die Reichslandvogteien wurden seit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.