Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

174 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
der Begriff des Rechtsbesitzes auf eine breitere Basis gestellt worden. Die Lehre vom Eigen- 
tumserwerb hatte zum Teil infolge der Ausbildung besonderer, aus den Regalien hervor- 
gegangener Aneignungsrechte (Jagd-, Fischerei= und Bergrecht) vom römischen Rechte durch- 
aus abweichende Rechtssätze aufzuweisen. Im größten Teile Deutschlands war durch die Ein- 
richtung der öffentlichen Bücher das deutsche Auflassungsprinzip mehr oder minder gewahrt 
oder wiederhergestellt worden. Dasselbe galt von der Ausschließung der Fahrnisklage kraft 
des Grundsatzes: Hand muß Hand wahren. Das deutsche Pfandrecht an Liegenschaften war 
zwar durch die Rezeption in arge Verwirrung gebracht, aber fast überall auf Grund deutscher 
Rechtsprinzipien reformiert worden. Gemeines Immobiliarrecht galt schließlich im wesent- 
lichen unverändert nur noch im preußischen Amtsgerichte Homburg und für etliche Grundstücke 
des mecklenburgischen Anteils an Ratzeburg. Die Reallasten, die eigenartigen Rechtsverhält- 
nisse der deutschen Bauerngüter und das Lehnrecht fußten auf völlig unrömischen Grundlagen. 
Im Obligationenrechte hat, abgesehen von den Instituten des Handels= und Seerechts, des 
Wechselrechts und des Versicherungsrechts, das römische Recht bei der Auseinandersetzung den 
Schwertteil davongetragen. Dennoch bestanden wesentliche Abweichungen. Das streng persön- 
liche Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, wie es die römische Obligatio kennzeichnet, 
blieb uns fremd. Daher die Ubertragbarkeit der Forderungen, der Erwerb der Forderung im 
Wege unmittelbarer Stellvertretung, daher die Verträge über Leistungen an Dritte und zu- 
gunsten Dritter. Das römische Recht kannte nicht die allgemeine Klagbarkeit der Schuldverträge 
und entbehrte zahlreiche und wichtige Vertragsarten des modernen Rechtes, wofür die Ver- 
sicherungsverträge, die Leibrentenverträge, die durch Begebung von Wertpapieren abgeschlossenen 
Verträge, der Maklervertrag, der Verlagsvertrag als Beispiele dienen mögen. Im Familien- 
rechte überwog das deutsche Recht. Für das eheliche Güterrecht galt der unrömische Grundsatz 
der Vertragsfreiheit, und bestanden die drei deutschrechtlichen Güterrechtssysteme der Ver- 
waltungsgemeinschaft, der allgemeinen und der beschränkten Gütergemeinschaft, während das 
römische Dotalrecht nur in einem sehr geringen Teile Deutschlands Wurzel zu fassen vermochte. 
Die römische patria potestas ist ebensowenig wie das römische Pekulienrecht in unser Rechts- 
leben eingedrungen. Unsere Vormundschaft besaß infolge der Ausbildung der Obervormund- 
schaft des Staates einen von der römischen völlig verschiedenen Charakter. Auch das Erbrecht 
enthielt neben seinen römischrechtlichen Grundlagen eine Masse deutschrechtlicher Bestandteile, 
so die Erbverträge und Erbverzichte, das Institut der Testamentsvollstrecker, die Fideikommiß- 
und Lehnserbfolge, zu geschweigen von der Geltung deutscher Erbrechtssätze in den Kodifikationen 
und Partikularrechten. Urheber- und Patentrecht, Namen-, Zeichen- und Firmenrecht, Ge- 
werberecht, Bergrecht und Versicherungsrecht sind deutsch. 
Im Bürgerlichen Gesetzbuch stellt sich die Mischung römischrechtlicher und deutschrecht- 
licher Grundlagen ähnlich wie im früheren Rechte. Die römischen überwiegen im Obligationen- 
und Erbrecht, die deutschen im Sachen- und Familienrecht. Doch hat sich das Verhältnis merklich 
zugunsten des deutschen Rechtes verschoben. Die Materien, die das Einführungsgesetz zum 
Bürgerlichen Gesetzbuch den Landesrechten überließ, beherrscht das deutsche Recht.
	        
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