Gefängnisrecht und Recht der Fürsorgeerziehung. 97
8 5. Ausland, insbesondere amerikanisches Reformsystem und seine
Verbreitung.1
I. Seit in Ameriko die Einzelhaft der mit Schweigegebot und nächtlicher Trennung
verbundenen Gemeinschaftshaft unterlegen ist (loben S. 89), hat dort, neben zum Teil elenden
kleinen Gefängnissen (Jails) und zum Teil alten Staatsgefängnissen (State Prisons), die
etwa unseren Zuchthäusem entsprechen würden, sowie neben nicht bemerkenswerten mittleren
Gefängnissen (Penitentiaries) ein neues System Eingang gefunden, das als Besserungs-
system (RKekormatory System) bezeichnet wird. Trügt nicht alles, so ist es ein
System der Zukunft für uns, wie für die Kulturwelt überhaupt.
Schon seit 1825 bestanden in den Vereinigten Staaten für Jugendliche, im allgemeinen
zwischen 7 und 15 oder 16 Jahren, Besserungsschulen (Reform Schools), die etwa
unseren Fürsorgeerziehungsanstalten entsprechen, jedenfalls keine Strafanstalten sind. Ihr
Exziehungsprinzip ist seit dem ersten amerikanischen Gefängniskongreß in Cincinnati
von 1870 8 auf ältere Jugendliche ausgedehnt worden, nämlich bis zu 25, 30, ja 40 Jahren.
Für sie hat man einen neuen Typus von Gefängnissen, die Besserungsgefängnisse
(Reform Prisons, Reformatories) geschaffen.
Das erste war das Rekormatory eines kleinen Landstädtchens im Staate Neuyork,
Elmira. Durch dessen Gründung und jahrzehntelange Ausgestaltung hat sich Zacharias
R. Brockway unvergängliche Verdienste errungen. Es ist bald in anderen Staaten der
Union nachgeahmt worden. Unter ihren fortgeschritteneren Einzelstaaten ist jetzt kaum noch
einer, der nicht sein Reformatory besäße.
Uberall liegt der Gedanke zugrunde, daß für jugendliche Gefangene besondere An-
stalten nötig sind, daß besondere Abteilungen für sie innerhalb gemeinsamer Anstalten
die notwendige Differenzierung und Spezialisierung nicht zulassen. Man ist bemüht, diese
besonderen Strafanstalten für Jugendliche von den allgemeinen Gefängnissen alten Stils tun-
lichst zu trennen. Die in diesen geübte Vergeltung setzt man nachdrücklich in Gegensatz zu der
in jenen erstrebten Erziehung und Besserung, — wenn nicht aus anderem Grunde, so aus
dem rein praktischen, daß es leichter sei, die nach allen Seiten ihres Wesens durchgebildeten
Insassen eines Reformatory nach der Entlassung in Stellung zu bringen, als wenn sie mit
Gefangenen im alten Sinn identifiziert würden.
Aber anderseits wird auch von den Reformschulen (Fürsorgeerziehungsanstalten) scharfe
Trennung den Reformgefängnissen gegenüber erstrebt, und zwar hier deswegen, weil diese
Reformgefängnisse eben immer, auch in der Auffassung des Volkes, durchaus Straf-
anstalten sind, während man jenen Erziehungsanstalten auch den Schein pönalen Charakters
fernhält.
Der Unterschied in der Erziehungsarbeit von Reformschulen und Reformgefängnissen
liegt darin, daß diese Freiheitsstrafe vollziehen, also die Freiheit des Insassen beschränken wollen,
jene als reine Erziehungsanstalten solche Freiheitsbeschränkung nicht um ihrer selbst willen,
sondern nur insoweit herbeiführen, wie sie vom eigentlichen Erziehungszwecke nicht zu trennen
ist. Schärfer sind demgemäß Zucht und Zuchtmittel im Reformgefängnisse. Reformschulen
wollen den noch nicht gebildeten Charakter des noch nicht 16 jährigen Ubeltäters bilden, Reform-
gefängnisse dagegen den schlechtgebildeten Charakter des über 16 jährigen verbessern; jene be-
trachten formation, d. i. Bildung, diese rekormation, d. i. Umbildung, als ihre Aufgabe.
Solche Umbildung freilich ist nicht in einem rein innerlichen Sinne gemeint, wie es
Besserung im Sinne des alten kirchlichen Strafvollzuges oder des pennsylvanischen Systems
war (s. oben S. 84 und 88). Nicht so sehr innere oder moralische oder religiöse, als vielmehr
1 Zur Begründung des Folgenden s. Freudenthal, Anmerik. Kriminalpol. 1907 und
2 7*7 kesesmmte erurteilung in Vergl. Darstell. Deutsch. u. ausl. Strafr., Allg. Teil, Bd. 3
* Die bahnbrechenden Thesen des Kongr. in Cincinnati sind von F. H. Wines, dem
Sohne ihres Redaktors E. C. Wines, abgedruckt in Corr. and Prev., Bd. I: Pris. Ref. S. 39 ff.
Einen Auszug in deutscher Übersetzung gibt Baernreithers ausgezeichnetes Werk über
Jugendfürsorge u. Strafr. i. d. Ver. St. 1905 S. 91.
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band V. 7