Friedrich Wilhelm J. 65
minister Colbert hatte in Frankreich dieses System mit solchem Er—
folge angewandt, daß man es nach ihm auch Colbertismus
nennen kann.
Sein Wesen bestand in der Hochschätzung des Geldes; man
glaubte, daß ein Land desto reicher sein müsse, je mehr Geld in
ihm vorhanden wäre. Um nun Geld in das Land zu ziehen, suchte
man vor allem eine günstige Handelsbilanzt) herbeizu-
führen, d. h. mehr Waren in das Ausland auszuführen und da-
durch Geld zu verdienen, als in das Inland einzuführen und da-
durch Geld abzustoßen. Eine größere Ausfuhr (aktive Bilanz)
konnte man aber dadurch erreichen, daß man die einheimischen
Gewerbe möglichst vervollkommnete und begehrenswert machte, da-
mit sie im Auslande gesucht würden. Man zog also z. B.
kundige Fremde ins Land, gründete staatliche Fabriken und be-
aufsichtigte die technische Herstellung der Waren bis ins einzelne.
Zu demselben Zwecke erleichterte man im Binnenlande den Handels-
verkehr durch den Bau von Straßen und Kanälen, durch Gründung
neuer Marktorte und durch Beseitigung von Ausfuhrzöllen. Da-
gegen erschwerte man die Einfuhr vom Auslande gerade durch
hohe Schutzzölle oder gar durch Einfuhrverbote; nur Rohprodukte
ließ man zollfrei herein, damit sie im Inlande verarbeitet und als
fertige Waren wieder ins Ausland verkauft werden konnten.
[Vorzüge und Irrtümer des Merkantilismus.]
Der Merkantilismus herrschte vom 16. bis 18. Jahrhundert in
Europa und hatte den unzweifelhaften Vorteil, daß er die Be-
völkerung eines Landes zu tüchtiger Arbeit erzog und zu stetiger
Vervollkommnung der Handelswaren anregte. Aber er irrte zu-
nächst insofern, als er den Wert des Geldes und der Edel-
metalle überschätzte ?:). Diese können zwar einen Privatmann reich
werden lassen, aber ein Volk nur dann, wenn der Menge des Geldes
auch eine gleichwertige Menge von Waren entspricht. Denn wenn
ein Volk mehr Geld hat, als Waren vorhanden sind, so steigen die
1) Bilanz, vom lat. bilankx, bilancis = zwei Wagschalen habend, ist die
Gegenüberstellung der Werte der ausgeführten und der eingeführten Waren.
2) Das Geld verliert z. B. bei Hungersnöten, in der Wüste, auf hoher
See und überall da, wo keine Gebrauchsgüter zu haben sind, seinen Wert. Es
kann nur etwa noch zu Schmuck oder zu chemischen Zwecken dienen. Ge-
brauchsgüter sind also wichtiger als Geld.
Jaenicke, Deutsche und brandenburg.-preuß. Geschichte. II. 11. Aufl. 5