Wilhelm II. 101
Staaten wagte doch, die Gefahr eines Krieges, dessen Ausgang so
unsicher schien, auf sich zu nehmen. Mehr Glück hatte England bei
seinen asiatischen Bundesgenossen, den Japanern, die zwar auf
militärischem und wirtschaftlichem Gebiete bisher unsere Schüler ge-
wesen waren, jetzt aber die Zeit für gekommen erachteten, sich im
fernen Osten auf unsere Kosten zu bereichern. Sie forderten die so-
fortige Zurückziehung unserer dortigen Kriegsschiffe und die be-
dingungslose Übergabe von Kiautschou, eine Anmaßung, die unser
Kaiser überhaupt keiner Antwort würdigte, so daß sie uns und
unseren Bundesgenossen (23. und 27. 8.) ebenfalls den Krieg an-
sagten. Dagegen stellte sich die Türkei, die vom Dreiverbande
das Schlimmste zu erwarten hatte, nämlich fast völlige Auflösung,
Ende Oktober 14 auf unsre Seite und lenkte dadurch wenigstens
einen Teil der feindlichen Streitkräfte von uns ab.
[Beitritt Italiens zum Dreiverband.] Am auf-
fallendsten war die Haltung Italiens, das seit 33 Jahren unserm
Bunde angehörte. König Viktor Emanuel III. erklärte zwar im
Anfange des Krieges mit Bestimmtheit, er stehe auf unfrer Seite,
aber er ließ es doch zu, daß seine Regierung (die Minister Salandra
und Sonnlno) die folgenden zehn Monate zu heimlichen Unterhand-
lungen mit dem Dreiverbande und zu ausgedehnten Rüstungen gegen
unsern Bundesgenossen benutzte. Vergeblich bot Österreich aus freien
Stücken Südtirol mit Bozen, das Gebiet bis zum Isonzo und die
Errichtung eines Freigebiets von Triest dafür an, daß Italien
wenigstens neutral blieb. Das italienische Volk, aufgehetzt durch
eine vom Dreiverband bestochene Presse und durch den Dichter
d'Annunzio, verlangte vielmehr auch Dalmatien und die Allein-
herrschaft im Adriatischen Meere, Forderungen, die Österreich-
Ungarn unmöglich erfüllen konnte, ohne sich selbst zu vernichten. Auf
der andern Seite drohte England mit einer Blockade der Küsten,
wenn Italien nicht dem Dreiverbande beiträte, und lockte mit seinen
Milliarden, wenn es geschähe. So kam es, daß Italien den Bundes-
vertrag mit Österreich-Ungarn kündigte und dem bisherigen Freunde
(24. 5. 15) den Krieg erklärte. Diese verräterische Tat erschien nicht
bloß verächtlich, sondern auch töricht, da sie zu einer Zeit erfolgte,
wo sich der Sieg auf allen Kriegsschauplätzen bereits entschieden auf
unfre Seite neigte. Daher zeigte unser Volk auch keine besondere
Erregung, als unser Botschafter (Fürst v. Bülow) zugleich mit dem
österreichisch-ungarischen von dem römischen Posten abberufen wurde.