84 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.
des Staates. Dünne oder dichte, zu geringe oder zu große Be-
völkerung, Verteilung der Lebensalter und der Geschlechter,
Lebensdauer, Sterblichkeit sind Tatsachen, die auf der Staaten
Schicksale Einfluß haben. Diese Tatsachen sınd zwar biologischer
Art, jedoch überwiegend das Resultat der gesamten Kultur eines
Volkes. Die sich mit ihnen beschäftigende Wissenschaft, die
Bevölkerungslehre, gehört daher, wenn auch unterstützt
von Biologie und Anthropologie, zu den Sozialwissenschaften !!).
Sie ist gleich der gesamten sozialen Statistik eine Hilfs-
wissenschaft aller Gesellschaftswissenschaften und daher auch der
Staatslehre.
Da der Staat eine gesellschaftliche Erscheinung ist, so muß
die Stellung des Staates in und zu der Gesellschaft untersucht
werden, um eine vollendete Anschauung von ihm zu gewinnen.
Vorerst jedoch muB das Wesen der Gesellschaft dargelegt
werden ?).
b) Der Begriff der Gesellschaft.
Wie alle Begriffe, die nicht nur in der Wissenschaft, sondern
auch im täglichen Leben ihre Stelle haben, ist der der Gesell-
schaft vieldeutig. Von der vorübergehenden zufälligen Vereinigung
mehrerer Personen bis zum Staate hinauf, ja über den Staat
hinaus auf die ganze menschliche Gemeinschaft wird das Wort
liche Persönlichkeit — für ihn nach seiner früheren Auffassung (anders
Kleine Staatslehre 1907 S.19) das wesentliche Staatsmerkmal — zu-
schreiben wollen.
1) Vgl. G.Rümelin in Schönbergs Handbuch der politischen Öko-
nomie, 4. Aufl. I 1896 S. 828.
2) Umfassendere Untersuchungen über die Gesamtheit der termino-
logisch unter dem Wort „Gesellschaft“ zusammengefaßten Vorstellungen
bei Jhering Der Zweck im Recht I, 4. Aufl, 1904 S.65ff., 240 ff.;
G.Rümeli'n Über den Begriff der Gesellschaft und einer Gesellschafts-
lehre, Reden und Aufsätze III 1894 S. 248ff.; Tönnies Gemeinschaft
und Gesellschaft, 2. Aufl. 1912 S.3£f£.; Wundt Logik, 3. Aufl. IN
S.623ff,; Stammler Wirtschaft u. Recht, 2. Aufl. S. 77££.; Simmel,
Schmollers Jahrbuch XX 1896 S.575ff.; derselbe Soziologie 1908
Ss.10ff.; Kistiakowski Gesellschaft und Einzelwesen 1899 S.S1ff.;
Gothein Gesellschaft und Gesellschaftswissenschaft im HWB. der
Staatswissenschaften, 3. Aufl. IV S.680ff.;, Wasserab Sozialwissen-
schaft und soziale Frage 1900 S.6ff.; O.Spann Untersuchungen über
den Gesellschaftsbegriffl, Tübinger Zeitschrift f. d. g. Staatsw. LIX
3.574ff.; LX S.462ff.; LXI S. 302 £f., 427 ff.