Neunzehntes Kapitel. Die Gliederung des Staates. 635
keineswegs gänzlich geschwunden ist. Bei Neuerwerbungen von
Gebietsteilen, bei der Organisation von Nebenländern, bei anderen
staatsrechtlichen oder politischen Schwierigkeiten der völligen
bureaukratischen Zentralisation findet es auch heute noch häufig
Anwendung. Irland, Ostindien!), Island?), Elsaß - Lothringen,
ferner die besonderen Kolonialministerien unterstellten Neben-
länder der europäischen Staaten sind Beispiele von Teilen eines
Staates, deren Regierung von der sıe beherrschenden Zentral-
gewalt in größerem oder geringerem Umfange gemäß dem
Provinzialsystem vorgenommen wird.
Wenn nun auch der nach dem Provinzialsystem konstruierte
Staat heute mehr als ein Provinzenbündel denn als einheitliches
noch in der dem Dualismus unmittelbar vorangehenden Epoche als
konstitutioneller Einheitsstaat eine besondere ungarische und sieben-
bürgische Hofkanzlei.
1) Über die eigentümliche administrative Stellung beider vgl. Gneist
Das Englische Verwaltungsrecht der Gegenwart 3. Aufl. II 1884 S. 1104 ff. ;
Hatschek Engl. Staatsrecht I S. 193 ff., 208ff.; Lawrence Lowell Die
englische Verfassung 1913 II S.395 £f.
2) Vgl. Goos-Hansen Das Staatsrecht des Königreichs Dänemark
(in Marquardsens Handb. S. 45, 157 ff. u. Neubearbeitung im öff. Recht d.
Gegenwart XX 1913 S. 12, 55, 239 £f.).. — Nach isländischer Auffassung ist
Island ein selbständiger Staat. Diese Ansicht wird neuerdings unter dem
wohlbegründeten Widerspruch Knud Berlins, Islands staatsrechtliche
Stellung 1910 S.2f£,, verfochten auch vom Schweden Ragnar Lund-
borg, Islands staatsrechtliche Stellung 1908 S.50ff., von den Nor-
wegern Aall und Gjelsvik, Die norwegisch-schwedische Union 1912
S.21f. N,1, und von v.Liszt, Das Völkerrecht 9. Aufl. 1913 S. 54, der
von einer Personalunion zwischen Island und Dänemark spricht. Ihr
trägt Rechnung der von der dänischen Regierung gutgeheißene Gesetz-
entwurf von 1908 über die Schaffung einer Staatsverbindung zwischen
Dänemark und Island als zweier Staaten. Der Entwurf scheiterte bis
jetzt an den maßlosen Forderungen der Isländer: Goos-Hansen in der
Neubearbeitung S.245£.; Der Gesetzentwurf ebenda S.274f. — Bevor
der Entwurf Gesetz ist, schweben Betrachtungen über die Natur der
geplanten Staatsverbindung in der Luft. Morgenstierne, Jahrbuch
d.ö.R. 1909 S.522ff,, hält das zukünftige dänische Gesamtreich für
einen Staatenstaat, nicht für eine Realunion. Es wird darauf ankommen,
ob nachı dem Sinne des Entwurfs in den gemeinsamen Angelegenheiten
das Können der beiden Staaten beschränkt sein soll oder bloß ihr
Dürfen. Ist ein im Widerspruch mit einem gemeinsamen Gesetz er-
gehendes ısländisches Landesgesetz zwar vereinharungswidrig, aber
dennoch gültig, so ist Dänemark-Island eine Realunion, andernfalls ist
die Verbindung ein Staat.