Full text: Gesetze und Verordnungen über Elementarunterricht und Fortbildungsunterricht im Großherzogtum Baden.

72 II. Gesetz über den Elementarunterricht. 
Für Kinder, welche schwächlich oder in ihrer Entwickelung zurück- 
geblieben sind, kann hinsichtlich des Anfangstermins ihrer Schulpflicht 
Nachsicht erteilt werden. Mädchen müssen auf Verlangen ihrer Eltern 
oder der Stellvertreter dersclben am Schlusse des Schuljahres schon dann 
aus der Schule entlassen werden, wenn sie bis zum nüchstfolgenden 
1. November ihr vierzehntes Lebensjahr vollenden werden. 
Auch kräftig entwickelten Knaben, velche erst bis zum nücst- 
folgenden 1. Juli ihr vierzehntes Lebensjahr vollenden worden, die Unter- 
richtsgegenstünde der Volksschule aber schon vollständig inne haben, 
kann aus erheblichen Gründen die Entlassung bewilligt worden. 
Knaben, welche bis zur Zeit der regelmässigen Schulentlassung die 
wichtigsten Unterrichtsgegenstünde der Volksschule aus Unfleiss sich noch 
nicht angeeignet haben, können von dem Ortsschulrat auf ein weiteres 
Jahr in der Schule zurückbehalten werden. 
Diese früheren Bestimmungen hatten bezüglich der Entlassung der Knaben 
zu erheblichen Unzuträglichkeiten nicht geführt, zumal da in der weitaus größten Zahl 
der zur Kenntnis der Oberschulbehörde gelangten Fälle, in denen um vorzeitige 
Schulentlassung für Knaben nachgesucht wurde, diese bereits vor Erreichung des 
schulpflichtigen Alters in die Volksschule ausgenommen worden waren, sonach an 
Ostern des betreffenden Jahres bereits volle acht Jahre die Schule besucht hatten. 
Soweit es sich aber darum handelte, Knaben, welche die Entlassungsreife nicht be- 
saßen, d. h. bis zum 1. Juli das vierzehnte Lebensjahr nicht ganz vollendet hatten, 
durch Entlassung aus der Volksschule die Möglichkeit einer besonderen fachlichen Aus- 
bildung zu gewähren, wurde geeignetenfalls aufgrund der Vorschrift in § 1 des 
Gesetzes der Besuch einer diesbezüglichen Anstalt — landwirtschaftlichen Winterschule, 
Gewerbeschule oder Handelsschule — als genügender Ersatz für den Unterricht der 
Volksschule erklärt. 
Dagegen hatten die Vorschriften über die Entlassung der Mädchen sich als 
ungenügend erwiesen. Die alljährlich in großer Zahl an die Oberschulbehörde ge- 
langten Gesuche um Schulbefreiung für Mädchen, welche erst nach dem 1. November 
das vierzehnte Lebensjahr vollendeten, ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, 
daß die bezügliche gesetzliche Vorschrift mit den Bedürfnissen unseres Volkslebens, 
wie auch mit der Rücksichtnahme, welche die besonderen Entwickelungsverhältnisse des 
weiblichen Geschlechts verlangen, nicht völlig im Einklang stand. In Fällen, wo die 
Entlassung eines nach dem 1. November geborenen Mädchens aus der Volksschule 
durch besondere häusliche Verhältu'sse, zur Verhütung oder Linderung eines schweren 
Notstandes in der Familie, oder durch die vorgeschrittene Entwickelung des Mädchens 
geboten erschien, mußte — sollte die Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Schul- 
pflicht von den Beteiligten nicht als eine ungerechtfertigte Härte empfunden werden 
— durch zeitweise Entbindung vom Besuch der Schule wenigstens einigermaßen Er- 
leichterung geschaffen werden. Diesen Mißständen abzuhelfen, war der Zweck der 
Gesetzesänderung. Für Knaben blieb der bisherige Zustand aufrecht erhalten mit 
der Maßgabe jedoch, daß die Entlassung derjenigen Knaben, welche bis zum 30. 
Juni eines Jahres das 14. Lebensjahr vollenden, an Ostern dieses Jahres erfolgt, 
obne daß für die erst nach dem 23. April 14 Jahre alt werdenden Schüler in jedem 
einzelnen Falle besondere Bewilligung zu erwirken wäre. Die Anderung in der 
Zeitbestimmung (30. Juni statt 1. Juli) ist lediglich zu dem Zweck erfolgt, um 
äußerlich eine Uebereinstimmung mit der für Mädchen angenommenen Zeitbestimmung 
(letzter Dezember) herbeizuführen.
	        
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