32 1. Tl. Kriegserklärung u. Friedensschluß n. deutsch. Staatsrecht.
keiten eröffnete Krieg eine Rechtsverletzung enthalten. Eine solche
Bestimmung zu treffen, die das Reich offenbar zu Gunsten seiner
Feinde beschränken würde, kann aber deshalb nicht in der
Absicht des Gesetzgebers gelegen haben, da nach den damaligen
Grundsätzen des deutschen und des allgemeinen Völkerrechts
eine Kriegserklärung nicht unbedingt erforderlich war (ogl.
unten S. 69). Nachdem aber die Staatengemeinschaft auf der
II. Haager Konferenz die Verpflichtung zur vorherigen Kriegs-
erklärung beschlossen und zu einer vertragsrechtlichen Norm er-
hoben hat (vgl. unten S. 110), würde ein tatsächlicher Angriff
des Kaisers ohne vorherige Kriegserklärung eine Verletzung
völkerrechtlicher Normen darstellen, die den Gegner zur An-
wendung von Repressalien berechtigen würde. 1)2)
Gegen das Mitwirkungsrecht des Bundesrates im Falle
eines tatsächlichen Angriffs deutscherseits ohne Kriegserklärung
spricht m. E. nicht, wie Arndts) und Dambitscht) an-
nehmen das Recht des Kaisers, ohne die Mitwirkung des
Bundesrats über die Kriegsmittel gemäß Art. 63 Abs. 1, 53
R. V. zu verfügen. Denn es bleibt die Verpflichtung des Kaisers,
den Bundesrat sowohl über eine abzugebende Kriegserklärung
als auch über einen tatsächlichen Angriff mit entscheiden zu
lassen, unbeschränkt bestehen. Allerdings nimmt Dambitsch-)
an, aus politischen Gründen werde das Mitwirkungsrecht des
Bundesrates tatsächlich auf ein Minimum reduziert. Er sagt
nämlich: „Das Feld, das für die Zustimmung des Bundesrates
übrig bleibe, dürfte praktisch nicht von allzu großer Bedeutung
sein. Bei europäischen Kriegen wird, — sei es auch nur wegen
der mittelbaren Gefahr, daß der Krieg auf andere Staaten,
als die in erster Reihe beteiligten, übergreift und daß diese
1) Damit wird auch die Ansicht von Dienstfertig S. 68 ohne weiteres
hinfällig, der behauptet, das Zustimmungsrecht des Bundesrates sei deshalb von
keiner allzu grosen Bedeutung, weil es sich nur auf die sormelle Kriegserklärung er.
strecke und eine solche zum Beginn des Krieges nicht notwendig sei. Es könne des-
halb leicht das in Abs. 2 Art. 11 statuierte Recht des Bundesrats vom Kaiser um-
gangen werden.
2) Die interessante Frage, ob durch neues Völkerrecht materiell die Reichs-
verfassung geändert wird, kann hier unerörtert bleiben, da die Konvention beir. den
Beginn der Feindseligkeiten (R. G. Bl. 1910 S. 83#) nicht mit Art. 11 Abs. 2
d. R. V. im Widerspruch steht.
8) Staatsr. S. 704. 0 S. 279. 5) A. a. O.