40 1. Tl. Kriegserklärung u. Friedensschluß n. deutsch. Staatsrecht.
Entscheidung über Krieg und Frieden mitwirkt, hat der Reichs-
tag, die Volksvertretung, an diesem wichtigen Rechte, „dem
wichtigsten Vorgang im Staatsleben“ 1) gar kReinen direkten
Anteil. Wir fragen uns mit Recht: Wodurch ist diese Verteilung
gerechtfertigt, da es sich doch beim Kriege bekanntlich um das
Wohl und Wehe des ganzen Reiches, dessen Existenz auf dem
Spiele steht, und seiner Untertancn, die große Opfer materieller
und ideeller Art bringen müssen, handelt? Dieser Gedanke ist
nun bei der Kompetenzregelung weniger maßgebend gewesen,
als die Zweckmäßigkeitsfrage: ist es vorteilhafter, der Regie-
rung, der „Exekutivgewalt“, ausschließlich oder zusammen mit
der „Legislative“ und damit der Volksvertretung das Entschei-
dungsrecht über Krieg und Frieden zu geben?
Die große Majorität der Verfassungen bejaht diese Frage
zu Gunsten der Regierung, indem sie der „Exckutivgewalt“
das Rechr der Kriegserklärung beilegen.) Dagegen ist die An-
zahl derjenigen Staaten, die dieses Recht der „Legislative“ re-
servieren, sehr gering. Es sind dies solche Staaten, die eine
Sonderstellung in der Staatengemeinschaft einnehmen, wie die
Schweiz als dauernd neutralisierter Staat und die Vereinigten
Staaten von Nordamerika als einzige Großmacht ihres Kon-
tinents. 5)
Dagegen zeigen die Verfassung Frankreichs von 1875 in
Art. 91) und im Anschluß an diese die Verfassung von Mexiko
vom 12 II. 1857 Art. 85 § 8, für Argentinien die Verfassung
vom 25. IX. 1860 Art. 86 § 18 und die für Brasilien vom
11. II. 1889 Art. 48 8 7 ein gemischtes System (Zusammen-
von „Exekutive“ und „Legislative“).
Doch ist die Volksvertretung, der Reichstag nicht von jeg-
licher Mitwirkung bei der Kriegführung des Deutschen Reiches
ausgeschlossen. Er hat wenigstens das formelle Recht gemäß
1) So Thudichum S. 254.
2) So die österreichisch-ungarische Verfassung vom 21. XII. 1867 in Art. 5;
die Versassung von Italien vom 4. III. 1848 in Art. 5; die ungeschriebene englische
Verf.; die belgische vom 27. II. 1831 Art. 68; die niederländische vom 30. Xl. 1887
Art. 5; die von Luxemburg vom 17. X. 1868 Art. 37; die spanische vom 30. VI.
1876 Art. 54 § 4, die für Dänemark vom 5. VI. 1849 Art. 18 — vgl. Sainte
Croix S. 125. 8) Vgl. Sainte Crolx S. 127 ff.
4) Lle président de la Republique ne peut declarer la guerre sans
’ssentiment préalable des deur chambres.