48 1. Tl. Kriegserklärung u. Friedensschluß n. deutsch. Staatsrecht.
vom 26. Februar noch auch beim Abschlusse des Frankfurter
Definitivfriedens vom 10. Mai 1871 die Vorschriften des Abs. 3
beobachtet worden, obschon jene Verträge „Gegenstände be-
treffen, welche in den Bereich der Reichsgesetzgebung bezw.
Verfossungsgesetzgebung gehören.“ Allein es fragt sich doch sehr,
ob das von der Regierung beobachtete Verfahren einer richtigen
Auffassung der Bestimmung des Art. 11 entspricht.
Somit können wir mit Labandt) sagen: „Für die An-
sicht, das für Friedensverträge andere Regeln gelten, wie für
die übrigen Staatsverträge läßt sich, abgesehen von den poli-
tischen Betrachtungen, nichts anführen, als daß im Art. 11
Abs. 1 das Rechi „Frieden zu schließen“ besonders erwähnt ist.“
Demnach werden wir in den Fällen, in denen Friedensverträge
in die Gesetzgebungssphäre des Reiches eingreifen, ebenso wie
bei allen anderen Verträgen dieser Art die Mitwirkung von
Bundesrat und Reichstag in der noch näher zu charakterisierenden
Weise verlangen müssen.
II. Welches ist nun die rechtliche Bedeutung der Mit-
wirkung der am Vertragsschluß (Friedensschluß) beteiligten Or-
gane? so lautet die eingangs dieses Paragraphen aufgestellte
Frage. Soll die „völkerrechtliche“ Gültigkeit oder nur die innere
Durchführbarkeit der in den Rahmen der Reichsgesetzgebung
fallenden Staatsverträge (Friedensverträge) von der Zustimmung
des Bundesrates und der Genehmigung des Reichstages ab-
hängig sein?
Ueber diese Frage haben sich die verschiedensten Thceorien
gebildet. :2) Sie lassen sich wohl in drei Gruppen zusammen-
fassen.)
1. Die erste ist die Theorie der unbedingten „völkerrechr--
lichen" Wirksamkeit. Sie wurde von Gneist") für Preußen
und von Labandkô) für das Deutsche Reich aufgestellt. ()
1) 5. Aufl. S. 170 Anm. 5.
2) Dieselbe Frage besteht auch bei der Kriegserklärung (ogl. oben S. 34);
doch hat die Theorie sich in diesem Fall nicht ausführlich mit ihr beschäftigt.
8) Eine ausführliche Betrachtung dieser Theorien kann hier nicht gegeben
werden, es wird genügen, sie kurz zu charakterisieren.
4) Gneist, Gutachten über die Auslegung des Art. 48 Preuß. Verf.-Urk.,
abgedruckt bei E. Meier, a. a. O. GS. 342. ) Laband, 4. Aufl. II S. 114 ff.
6) Vertreten wird sie serner von Gerber, Staatsr. 3. Aufl.; G. Meyer,
Anmalen 1878, Staatsr. § 190.