54 1. Tl. Kriegserklärung u. Friedensschluß n. deutsch. Staatsrecht.
Ratifikation in einer Person, in der des Königs, vereinigt sind,
ist nach Reichsrecht zur Sanktion der Bundesrat und zur Rati-
fikation der Kaiser als Vertretungsorgan des Reiches berufen.
Es wirken also drei Organe am Abschluß von Staatsverträgen
des Reiches der hier in Frage kommenden Art mit: Bundes-
rat, Reichstag und Kaiser; und zwar ist hier die Stellung des
Kaisers im Gegensatz zur Gesetzgebung, wo er zur Publikation
des sanktionierten Gesetzes verpflichtet ist, eine freie. Denn er
kann die Ratifikation auch dann noch verweigern, wenn der
Bundesrat bereits die Sanktion erteilt hat.
Der Staatsvertrag ist abgeschlossen in dem Augenblick, in
welchem die Kontrahenten die Ratifikationsurkunden austauschen.
Jetzt sind sie an ihre Erklärungen gebunden. Jeder Kontrahent
hat seinen Willen in der Ratifikationsurkunde festgelegt und
dem anderen Kontrahenten gegenüber ertklärt. 1)
1) Wenn es nun richtig ist, was Binding: Die Normen und ihre Ueber-
tretung, Bd. 1 S. 185 ff. sagt, daß Recht nur Wille, nicht Macht und Zwang ist,
dann ist damit auch schon die Frage der juristischen Natur der Staatsverträge be-
antwortet. Ein Staatsvertrag ist, wenn wir Bindings Satz hier zu Grunde legen
wollen, kein Rechtsgeschäft in privatrechtlichem Sinne, sondern die Form für einen
Akt staatlicher Normensetzung. Indem die kontrahierenden Staaten sämtlich erklären,
daß der Inhalt des Vertrages für sie verbindlich sein solle kraft ihres Willens, er-
heben sie den Vertrag ein jeder zu seinem eigenen Recht. Da nun dieses Recht sich
auf einen Tatbestand bezieht, an dem ein wesentliches Element ausländisch ist, so
gehört es dem äußeren Staatsrecht, dem sog. Völkerrecht eines jeden der Kontrahenten
an. Ze nachdem nun mehrere oder sämtliche Staaten Kontrahenten sind, wird dieses
Recht „gemeinsames“ oder „allgemeines“ Völkerrecht. Das Vertragsrecht unterscheidet
sich von der Setzung alles übrigen Rechtes dadurch, daß der Staat bei ihm sich nicht
notwendig an seine Untertanen und Bebörden durch Erlaß des Gesetzesbefehls wendet,
sondern sich darauf beschränken kann, „nur sich selbst zu binden und diesen Willen,
selbst gebunden zu sein, anderen zu erklären“. Nippold, a. a. O. S. 21. Der
völkerrechtliche Vertrag ist aber nicht nur der ceigene Wille eines Staates, sondern
gleichzeitig auch der gemeinsame Wille mehrerer Staaten"“". Nippold, a. a. O.
Die das Vertragsrecht setzende „Gesamtautorität ist nie eine einzige, keine rechtliche
Einheit, sondern bleibt immer nur das Aggregat souveräner Willen, von denen jeder
gesondert, unabhängig von allen anderen, sein Territorium seinem Rechte unterworfen
hält". Bergbohm, Staatsverträge S. 89.
Das durch Staatsvertrag entstehende Recht ist m. E. somit Staatsrecht der
kontrahierenden Staaten, insofern als die Kontrahenten sich an den Vertragsinhalt
gebunden und verpflichtet erklären (äußeres Staatsrecht), nicht aber Staatsrecht in
dem Sinne von Gesetz und Verordnung, welches die Untertanen bindet (Iinnere#
Staatsrecht). Recht und Gesetz sind eben nicht identisch. Das Gesey hat zur Vor-