Full text: Deutsches Kolonialblatt. X. Jahrgang, 1899. (10)

Die breitgeflügelte Nase wird unbarmherzig ge— 
quält. Sowohl nächst dem Nasenbeine als auf beiden 
Nasenslügeln werden Löcher angebracht. Durch die 
auf die erste Weise angebrachte Höhlung wird ge— 
wöhnlich ein längliches Stäbchen von Bein oder 
wohlriechendem Holz gezogen; in die zwei anderen 
Löcher werden kleine Schweinszähne oder kleine 
blauweiße Perlringe befestigt. Auch die Backen 
bleiben nicht verschont, auf denselben werden Zeich- 
nungen, am beliebtesten in doppelter Kreisform, ein- 
gebrannt. Eine Art Uhrrädchen schneiden sie mittelst 
eines spitzen, harten Steinchens mit großer Geduld 
aus einer flachen Muschel oder kaufen bei den Pflan- 
zern unbrauchbar gewordene Uhrrädchen, und dieser 
Zierrat wird so an den Haaren befestigt, daß er 
mitten auf der Stirne hin= und herbaumelt. 
Durchlöcherte und langgezogene Ohrläppchen findet 
man bei den hiesigen Kanachen weniger, wohl aber 
fast allgemein auf Neumecklenburg. 
Endlich müssen Arme und Beine herhalten, um 
den modegerechten Schmuck zu vollenden, auch auf 
ihnen werden bunte Zeichnungen eingebrannt oder 
mit Glas eingeschnitten. Und unter welchem Zeichen 
steht der Bart in Neupommern? werden mich einige 
neugierige Leser fragen. Nun, die Kanachen wollen, 
obgleich ihnen ein langer Vollbart gewaltig imponirt, 
weder vom Schnurrbart noch vom Backenbart und 
ebensowenig vom Vollbart etwas wissen; denn wisse, 
mein lieber Leser, wir stehen hier im Reiche des 
Bocksbartes. Ein Kanache ohne Bocksbart wäre 
geradezu verachtet. Du mußt Dir aber nicht einen 
dichten Bocksbart denken, etwa nach Art des gekräu- 
selten Haares der hicsigen Eingeborenen, sondern ein 
ganz feines, durchsichtiges, langgezogenes, wohl- 
gcordnetes Bocksbärtchen, ohne das, was drum und 
dran hängt; denn jedes überflüssige Härchen, welches 
die vorgeschriebene Zartheit des Bockbartes verdrängen 
könnte, wird unbarmherzig mit einer Glasscherbe 
entfernt oder nach Römerart kurzweg ausgerissen. 
Auf der Stirne und im Blicke so mancher Ka- 
nachenhäuptlinge steht ein an Verbrechen reiches 
Leben geschrieben. Aber es fehlt auch nicht an 
Männern, die aus ihren früheren Schandthaten kein 
Hehl machen und offen bekennen, wieviel Gefangene 
sie hingeschlachtet und aufgefressen haben. 
Doch mit den förmlichen Menschenjagden, die 
ohne Zweifel früher an der Tagesordnung waren, 
ist es jetzt zu Ende (wenigstens in der Gazelle), dank 
dem zunehmenden Einfluß der Missionarc, dank auch 
den Bemühnungen der Regierung. Daß aber trotz- 
dem noch Gräuel genug vorkommen, die sowohl dem 
Missionar als dem Richter entgehen werden, unter- 
liegt keinem Zweifel. Es verschwindet plötzlich der 
oder jener, und es heißt: „i ter mat ta ra pui, 
er ist im Busch gestorben“, und der geheimnißvolle 
Busch, wohin das Auge der Gerechtigkeit nicht dringen 
kann, hat eine neue Schandthat zu verbergen. Die 
Eingeborenen kennen ein tödliches Gift, welches aus 
629 
  
es zum Kalk, der beim Kauen der Betelnuß ver- 
wendet wird, oder streuen es in kleine an der Schale 
der Betelnuß angebrachte Ritzen, welche sie dann 
demjenigen anbieten, den sie schnell beseitigen wollen. 
In kurzer Zeit tritt Blutvergiftung ein, und das 
Opfer stirbt unter heftigsten Konvulsionen. 
Als ich kurz nach der Gründung der Station 
St. Otto von einem ermüdenden Marsch heimkehrte, 
besuchte ich Hälfte Wegs ein Dorf. Da eben ein 
Schwein geschlachtet wurde, so fehlte auch nicht ein 
einziges Mitglied der Familie. Ich benutzte die 
Gelegenheit, um von der Nothwendigkeit der Religion 
zu sprechen, und ermahnte alle Anwesenden, am 
Sonntag zum Unterricht nach St. Otto zu kommen. 
Der Hausvater der ganzen Familie war ein großer, 
starker Mann in den fünfziger Jahren, und ich hatte 
mir seine Gesichtszüge wohl gemerkt. Zwei Tage 
später hörte ich die Garamut (einheimische Trommel) 
ihre Klagetöne anstimmen. Auf meine Anfrage, wer 
gestorben sei, vernahm ich zu meinem größten Staunen, 
daß eben jener Mann, dessen Züge mir deutlich vor 
Augen schwebten, plötzlich verschieden sei. 
Da Todesursachen, wie Herzschlag und Gehirn- 
erschütterung, bei den Kanachen unbekannt sind, so 
konnte ich mir den plötzlichen Tod des To Babolo 
(so hieß der Mann) nicht erklären. Die Kinder, die 
sich leicht verplaudern, gestanden mir, der Mann sei 
vergiftet worden, und er habe nach dem Tode Schaum 
auf dem Munde gehabt. Ich begab mich unverzüglich 
an Ort und Stelle, aber man mußte meine Ankunft 
gewittert haben; denn als ich ankam, war das Be- 
gräbniß zu Ende. Was sollte ich thun? Die Leiche 
ausgraben lassen? Dazu hatte ich keine Befugniß. 
Den Kaiserlichen Richter in Herbertshöhe und den 
Arzt benachrichtigen? Das wäre das Beste gewesen, 
wenn Beide sich sofort an Ort und Stelle hätten 
einfinden können. Allein St. Otto ist eine neue 
Station, wohin noch kein Weg führt, der schmale 
Pfad, der vom großen Fahrweg abzweigt, ist unge- 
mein beschwerlich für Fußgänger und für Reiter ge- 
fährlich. Ich konnte also den beiden Herren nicht 
zumuthen, daß sie den Fall untersuchten, zumal der 
Arzt, der einzige auf Neupommern, so mit Arbeit 
überladen ist, daß er schwer seinen Posten ver- 
lassen kann. 6 
Kurz, die Untersuchung unterblieb, und der Tod 
To Babolos wird wohl ein Buschgeheimniß bleiben. 
Derlei Geheimnisse wird gewiß in größerer An- 
zahl der Tubuan verzeichnen können, dessen Sitz 
überhaupt unzugänglicher Busch ist, und die Igiet- 
genossen, d. h. die Gesellschaft der „Nichtschweine- 
fleischesser"., Der Tubuan, der einheimische Gerichts- 
vollzieher, war früher Herr über Leben und Tod, 
diese Macht ist ihm allerdings offiziell abgenommen, 
seitdem die deutsche Gesetzgebung die einheimische 
verdrängt hat. . Allein der deutsche Richter bekennt 
offen in seinen Worten und in seiner Handlungs- 
weise, daß sein Arm nur die am Ufer oder unfern 
einer wilden Pflanze gewonnen wird. Sie mischen des Ufers angesiedelten Eingeborenen erreicht, nicht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.