Die breitgeflügelte Nase wird unbarmherzig ge—
quält. Sowohl nächst dem Nasenbeine als auf beiden
Nasenslügeln werden Löcher angebracht. Durch die
auf die erste Weise angebrachte Höhlung wird ge—
wöhnlich ein längliches Stäbchen von Bein oder
wohlriechendem Holz gezogen; in die zwei anderen
Löcher werden kleine Schweinszähne oder kleine
blauweiße Perlringe befestigt. Auch die Backen
bleiben nicht verschont, auf denselben werden Zeich-
nungen, am beliebtesten in doppelter Kreisform, ein-
gebrannt. Eine Art Uhrrädchen schneiden sie mittelst
eines spitzen, harten Steinchens mit großer Geduld
aus einer flachen Muschel oder kaufen bei den Pflan-
zern unbrauchbar gewordene Uhrrädchen, und dieser
Zierrat wird so an den Haaren befestigt, daß er
mitten auf der Stirne hin= und herbaumelt.
Durchlöcherte und langgezogene Ohrläppchen findet
man bei den hiesigen Kanachen weniger, wohl aber
fast allgemein auf Neumecklenburg.
Endlich müssen Arme und Beine herhalten, um
den modegerechten Schmuck zu vollenden, auch auf
ihnen werden bunte Zeichnungen eingebrannt oder
mit Glas eingeschnitten. Und unter welchem Zeichen
steht der Bart in Neupommern? werden mich einige
neugierige Leser fragen. Nun, die Kanachen wollen,
obgleich ihnen ein langer Vollbart gewaltig imponirt,
weder vom Schnurrbart noch vom Backenbart und
ebensowenig vom Vollbart etwas wissen; denn wisse,
mein lieber Leser, wir stehen hier im Reiche des
Bocksbartes. Ein Kanache ohne Bocksbart wäre
geradezu verachtet. Du mußt Dir aber nicht einen
dichten Bocksbart denken, etwa nach Art des gekräu-
selten Haares der hicsigen Eingeborenen, sondern ein
ganz feines, durchsichtiges, langgezogenes, wohl-
gcordnetes Bocksbärtchen, ohne das, was drum und
dran hängt; denn jedes überflüssige Härchen, welches
die vorgeschriebene Zartheit des Bockbartes verdrängen
könnte, wird unbarmherzig mit einer Glasscherbe
entfernt oder nach Römerart kurzweg ausgerissen.
Auf der Stirne und im Blicke so mancher Ka-
nachenhäuptlinge steht ein an Verbrechen reiches
Leben geschrieben. Aber es fehlt auch nicht an
Männern, die aus ihren früheren Schandthaten kein
Hehl machen und offen bekennen, wieviel Gefangene
sie hingeschlachtet und aufgefressen haben.
Doch mit den förmlichen Menschenjagden, die
ohne Zweifel früher an der Tagesordnung waren,
ist es jetzt zu Ende (wenigstens in der Gazelle), dank
dem zunehmenden Einfluß der Missionarc, dank auch
den Bemühnungen der Regierung. Daß aber trotz-
dem noch Gräuel genug vorkommen, die sowohl dem
Missionar als dem Richter entgehen werden, unter-
liegt keinem Zweifel. Es verschwindet plötzlich der
oder jener, und es heißt: „i ter mat ta ra pui,
er ist im Busch gestorben“, und der geheimnißvolle
Busch, wohin das Auge der Gerechtigkeit nicht dringen
kann, hat eine neue Schandthat zu verbergen. Die
Eingeborenen kennen ein tödliches Gift, welches aus
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es zum Kalk, der beim Kauen der Betelnuß ver-
wendet wird, oder streuen es in kleine an der Schale
der Betelnuß angebrachte Ritzen, welche sie dann
demjenigen anbieten, den sie schnell beseitigen wollen.
In kurzer Zeit tritt Blutvergiftung ein, und das
Opfer stirbt unter heftigsten Konvulsionen.
Als ich kurz nach der Gründung der Station
St. Otto von einem ermüdenden Marsch heimkehrte,
besuchte ich Hälfte Wegs ein Dorf. Da eben ein
Schwein geschlachtet wurde, so fehlte auch nicht ein
einziges Mitglied der Familie. Ich benutzte die
Gelegenheit, um von der Nothwendigkeit der Religion
zu sprechen, und ermahnte alle Anwesenden, am
Sonntag zum Unterricht nach St. Otto zu kommen.
Der Hausvater der ganzen Familie war ein großer,
starker Mann in den fünfziger Jahren, und ich hatte
mir seine Gesichtszüge wohl gemerkt. Zwei Tage
später hörte ich die Garamut (einheimische Trommel)
ihre Klagetöne anstimmen. Auf meine Anfrage, wer
gestorben sei, vernahm ich zu meinem größten Staunen,
daß eben jener Mann, dessen Züge mir deutlich vor
Augen schwebten, plötzlich verschieden sei.
Da Todesursachen, wie Herzschlag und Gehirn-
erschütterung, bei den Kanachen unbekannt sind, so
konnte ich mir den plötzlichen Tod des To Babolo
(so hieß der Mann) nicht erklären. Die Kinder, die
sich leicht verplaudern, gestanden mir, der Mann sei
vergiftet worden, und er habe nach dem Tode Schaum
auf dem Munde gehabt. Ich begab mich unverzüglich
an Ort und Stelle, aber man mußte meine Ankunft
gewittert haben; denn als ich ankam, war das Be-
gräbniß zu Ende. Was sollte ich thun? Die Leiche
ausgraben lassen? Dazu hatte ich keine Befugniß.
Den Kaiserlichen Richter in Herbertshöhe und den
Arzt benachrichtigen? Das wäre das Beste gewesen,
wenn Beide sich sofort an Ort und Stelle hätten
einfinden können. Allein St. Otto ist eine neue
Station, wohin noch kein Weg führt, der schmale
Pfad, der vom großen Fahrweg abzweigt, ist unge-
mein beschwerlich für Fußgänger und für Reiter ge-
fährlich. Ich konnte also den beiden Herren nicht
zumuthen, daß sie den Fall untersuchten, zumal der
Arzt, der einzige auf Neupommern, so mit Arbeit
überladen ist, daß er schwer seinen Posten ver-
lassen kann. 6
Kurz, die Untersuchung unterblieb, und der Tod
To Babolos wird wohl ein Buschgeheimniß bleiben.
Derlei Geheimnisse wird gewiß in größerer An-
zahl der Tubuan verzeichnen können, dessen Sitz
überhaupt unzugänglicher Busch ist, und die Igiet-
genossen, d. h. die Gesellschaft der „Nichtschweine-
fleischesser"., Der Tubuan, der einheimische Gerichts-
vollzieher, war früher Herr über Leben und Tod,
diese Macht ist ihm allerdings offiziell abgenommen,
seitdem die deutsche Gesetzgebung die einheimische
verdrängt hat. . Allein der deutsche Richter bekennt
offen in seinen Worten und in seiner Handlungs-
weise, daß sein Arm nur die am Ufer oder unfern
einer wilden Pflanze gewonnen wird. Sie mischen des Ufers angesiedelten Eingeborenen erreicht, nicht