122 Artikel 4. Die Standesherren.
durch Satz 2 verstieß allerdings gegen die Bundespflichten, also völker-
rechtliche Vertragspflichten Preußens, — wobei übrigens nicht vergessen
werden darf, daß, als Art. 4 entstand, 1848/49, der deutsche Bund auf-
gelöst war und erst später (1851) reaktiviert wurde. Staatsrechtlich
ungültig wurde der Satz durch diesen Verstoß nicht. Die preußische
Staatsgewalt hatte, indem sie die Anordnung „Standesvorrechte finden
nicht statt“ erließ und auch den Standesherren gegenüber zur Geltung
brachte, völkerrechtlich (den andern deutschen Staaten als Mitkontrahenten
der Bundesakte gegenüber) illicite, aber staatsrechtlich (den Inhabern der
Vorrechte gegenüber) nicht invalide gehandelt (richtig Triepel, Völkerrecht
und Landesrecht [1899] S. 273 Nr. 2, unrichtig die Ansicht Arndts, Komm.
S. 84, wonach die Rechte der Standesherren „durch preußische Gesetze,
auch durch die preußische Verfassung nicht aufgehoben werden konnten“).
Die Privilegien der Standesherren waren also einstweilen radikal be-
seitigt und zwar auf einem staatsrechtlich völlig unanfechtbaren Wege:
durch Verfassungsgesetz. Wollte man sie — und dieser Wille trat in
der allgemeinen rückläufigen Bewegung nach 1850 alsbald hervor —
wieder in Geltung setzen, so mußte man zuvor oder gleichzeitig die
Verfassung ändern. Dies geschah durch das Gesetz „betreffend die De-
klaration der Verfassungsurkunde, in bezug auf die Rechte der mittelbar
gewordenen Deutschen Reichsfürsien und Grafen“ vom 10. Juni 1854
(GS 363). Es lautet:
„Die Bestimmungen der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar
1850 stehen einer Wiederherstellung derjenigen durch die Gesetzgebung
seit dem 1. Januar 1848 verletzten Rechte und Vorzüge nicht entgegen,
welche den mittelbar gewordenen Deutschen Reichsfürsten und Grafen,
deren Besitzungen in den Jahren 1815 und 1850 der Preußischen
Monarchie einverleibt oder wieder einverleibt worden, auf Grund
ihrer früheren staatsrechtlichen Stellung im Reiche und der von
ihnen besessenen Landeshoheit zustehen, und namentlich durch den
Artikel XIV der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 und durch
die Artikel 23 und 43 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815,
sowie durch die spätere Bundesgesetzgebung zugesichert worden sind,
sofern die Beteiligten sie nicht ausdrücklich durch rechtsbeständige
Verträge aufgegeben haben. Diese Wiederherstellung erfolgt
durch Königliche Verordnung.“
Dieses Gesetz ist als einfaches, nicht verfassungänderndes Gesetz
erlassen worden und nennt sich „Deklaration“. Deklaration bedeutet
dasselbe wie authentische Interpretation. Eine solche liegt hier nicht
vor. Das Gesetz vom 10. Juni 1854 stellt nicht kllar, was die Ver-