Full text: Deutsches Kolonialblatt. XV. Jahrgang, 1904. (15)

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alters her freiheitliebendes, eroberndes und maßlos 
stolzes Volk, wie diese Eigenschaften bis zum Extrem 
in den großen und reichen Geschlechtern verkörpert 
sind, auf der einen Seite die Ausbreitung der 
deutschen Herrschaft und ihre eigene Herabdrückung 
und Einengung von Jahr zu Jahr drückender emp- 
fanden — auf der anderen Seite aber, und das 
ist das Entscheidende, von dieser deutschen Herrschaft 
den Eindruck hatten, daß sie, die Hereros, ihr gegen- 
über im letzten Grunde der stärkere Teil seien. Wo- 
her dieser Eindruck bei den Hereros stammte, das 
ist elne Frage für sich, auf die hier nicht einzugehen 
ist; daß er aber vorhanden war, und daß sein Vor- 
handensein die treibende Ursache zum schließlichen 
Losbruch bildete, das anzuerkennen ist die Vorbe- 
dingung für das Verständnis der gegenwärtigen 
Situation und für die Verhütung zukünftiger ähn- 
licher Ereignisse. Der Ubergang vom Hereroland 
in weiße Hände, die Verarmung der mittleren 
und kleinen Viehbesitzer, die die Händler verschuldet 
haben, und was sonst noch angeführt wird, hat zwelfel- 
los die Entschlossenheit zum Aufstande geschürt; der 
Bondelzwartkrieg und die Entblößung des Herero- 
landes von Truppen haben die Verlockung, gerade 
im gegenwärtigen Augenblick loszuschlagen, groß ge- 
macht; Primärursachen der Empörung sind aber alle 
diese Dinge nicht gewesen. 
Die Mehrzahl der vom Ausstande betroffenen 
Personen hatten überdies mit dem Händlertum gar 
keinen oder nur einen sehr losen Zusammenhang. 
Ein großer Teil der Verluste, namentlich in den 
Gebieten von Windhuk, Outjo, Grootfontein, entfällt 
auf Leute, die überhaupt außerhalb des Herero- 
landes und des elgentlichen „Handelsfeldes“ wohnten. 
Unter diesen Umständen muß die Uberzeugung, des- 
halb ohne halbwegs ausreichende Entschädigung zu 
bleiben, weil die Volksvertretung und die öffentliche 
Meinung zu Hause einer irrtümlichen Vorstellung 
von den Ursachen des Aufstandes nachgeht, einer 
Vorstellung, die überdies der weißen Bevölkerung 
des Schutzgebietes als Ganzem schweres Unrecht zu- 
fügt — von der allerbedauerlichsten und verhängnis- 
vollsten Wirkung auf die Gesamtheit unserer Kolonial- 
bevölkerung sein und ihr allen Mut und alles Ver- 
trauen auf das Mutterland und sein Verständnis 
für ihre Nöte rauben. 
Der zweite, matertelle Faktor ist der tatsächliche 
Ruin des ganzen mittleren Teiles der Kolonie. Man 
muß sich vorstellen, was das heißt, für einen Mann, 
der eine Reihe von Jahren in harter Arbeit auf 
alle Kulturgenüsse verzichtet hat, in der begründeten 
Hoffnung, nun bald am Ende der Entbehrungen zu 
stehen und ein „menschenwürdiges“ Leben beginnen 
zu können, wenn mit einem Male die ganze Frucht 
seiner Arbekt weggewischt ist, und er selbst mit 
knapper Not nur sein nacktes Leben rettet. Man 
ermesse weiter, daß die Betroffenen — und größten- 
teils sicher mit Recht — der Uberzeugung sind, daß sie 
schuldlos von dem Unheil zerschmettert sind; daß 
  
sie im Vertrauen auf den unbedingten Schutz des 
Landfriedens durch die Regierung gekommen sind 
und zu arbeiten begonnen haben; und daß trotz 
alledem die Hoffnung auf Entschädigung und auf die 
Möglichkeit eines soliden und rationellen Wieder- 
beginnes der Arbeit so gut wie vereitelt wird! 
Wenn nicht billige Entschädigung gewährt wird, 
sondern nur ein unzureichendes Darlehen oder eine, 
ihrem Wesen nach geringe Unterstützung, so ist es 
höchst unwahrscheinlich, daß sich angesichts dieser 
moralischen und materiellen Eindrücke noch eine 
nennenswerte Zahl von Ansiedlern finden wird, die 
— mit unzureichenden Mitteln und neuen Ver- 
pflichtungen zu den großenteils noch unregulierten 
alten hinzu — ans Werk des Wlederaufbaues gehen 
würde. Sie werden es vielmehr vorziehen, wenn 
auch ganz oder halb ruiniert, das Land zu verlassen 
und sich anderswo (viele denken jetzt an Argentinlen, 
Chile, Australien, andere an Rückkehr nach Deutsch- 
land) eine Existenz zu gründen. Von welchen Folgen 
elne solche Landflucht aus den betroffenen Teilen 
Südwestafrikas rücksichtlich des Eindrucks auf die 
sonst etwa zur Auswanderung und Ansiedlung im 
Lande geneigten Elemente zu Hause, damit aber für 
die ganze zukünftige Besiedlung und materielle Ent- 
wicklung Südwestafrikas seln würde, braucht nicht 
weiter erläutert zu werden. Aber auch darüber 
hinaus würde der vollkommene wirtschaftliche Ruin 
der zentralen Landesteile, denn um einen solchen 
handelt es sich — mit Notwendigkeit auch den Zu- 
sammenbruch so vieler anderer Persönlichkeiten, 
Firmen und sonstigen Wirtschaftsfaktoren im Schutz- 
gebiet nach sich ziehen, daß sich eine ökonomische 
Katastrophe für das ganze Land daraus ergeben 
wird. 
Im Norden, den Gebieten von Grootsontein und 
Outjo, ist der angerichtete Schaden bedeutend geringer, 
und nur die Minderheit der Ansiedler ist wirklich 
schwer getroffen oder gänzlich ruiniert. Bei den 
verhältnismäßig bedeutenden natürlichen Hilfsquellen 
dieser Regionen, die freilich auf der anderen Seite 
erst im ersten Beginn der Besiedlung und wirt- 
schaftlichen Entwicklung steht, ist dort, zumal an- 
gesichts des Bahnbaues und der bevorstehenden Er- 
öffnung des Minenbetriebes, ein spontaner Wieder- 
ausschwung trotz des angerichteten Schadens an sich 
zu erwarten. Trotzdem ist der Eindruck des Schlages 
und der ersten dorthin gelangten, seinerzeit in der 
Südwestafrikanischen Zeitung veröffentlichten Aus- 
lassungen des Gouvernements über die Entschädigungs- 
frage und waos damit zusammenhing, bereits ein so 
niederschmetternder gewesen, daß ein großer Teil der 
Ansiedler daraufhin den Entschluß faßte, das Land 
zu verlassen, ein Entschluß, den von dort aus mehrere 
bereits haben zur Tat werden lassen. Dieselbe hoch- 
gradige Verbitterung der Leute, dieselbe Verzweiflung, 
es unter den herrschenden Verhältnissen in Südwest- 
afrika je wieder zu etwas bringen zu können, die- 
selbe Entschlossenheit, das Land zu verlassen, falls
	        
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