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1. Umfang der Anordnungen.
Die Aufgabe der Sanitätspolizei, die Allgemeinheit vor Seuchen
zu schützen, ohne sich in die Behandlung der Kranken einzumischen,
ist inS 11 R.G. Abs. 1 klar zum Ausdruck gebracht. Diese Aufgabe
kann nicht erfüllt werden ohne gewisse Beschränkungen des Einzelnen
in seiner freien Bewegung, eine Beschränkung, die er sich im Interesse
der Gesamtheit gefallen lassen muß. Es ist aber Aufgabe der Sanitäts-
polizei, in diesen Beschränkungen nicht über das unbedingt erforder-
liche Maß hinauszugehen und alles zu vermeiden, was die Bevölkerung
unnötig belästigt. Zutreffend bemerkt die Begründung zu $S 11 R.G.:
„Zur wirksamen Bekämpfung der schweren Seuchen lassen sich
außergewöhnliche Maßregeln, welche Eingriffe in das Privateigentum,
Beeinträchtigungen des gewerblichen Verkehrs, unter Umständen selbst
gewisse Beschränkungen der persönlichen Freiheit bedingen, nicht
immer umgehen. Sind doch die Gefahren für das Gemeinwohl, welche
aus einem Seuchenausbruch entspringen können, von ungleich größerer
Tragweite, als die Nachteile und Belästigungen, die für den Einzelnen
Aurch solche Mafregeln erwachsen. Muß deshalb das Gesetz zu solchen
Maßregeln unvermeidlich Vollmacht geben, so hat es dafür auch auf
der anderen Seite die Aufgabe, diese Vollmacht im Interesse des
Schutzes der Einzelnen bestimmt zu begrenzen; nicht nur, daß es die
Behörden bezeichnet, denen die erforderlichen Machtvollkommenheiten
beigelegt werden sollen, es muß auch ım Interesse des Verkehrs sowie
der Freiheit der Person und des Eigentums diejenigen Grenzen an-
geben, bis zu welchen die Behörden mit ihren Anordnungen gehen
dürfen.“
In den Anweisungen zur Bekämpfung der einzelnen gemeingefähr-
lichen Krankheiten — Aussatz, Oholera, Fleckfieber, Pest,
Pocken — ist näher angegeben, welche von den nach dem Gesetz
zulässigen Schutzmaßregeln in den einzelnen Fällen anzuwenden sein
werden, ohne daß jedoch dem pflichtmäßigen Ermessen der Polizei-
behörde und des beamteten Arztes allzu enge Schranken gezogen werden.
Denselben Standpunkt nimmt das braunschweigische Gesetz gegen-
über den übrigen übertragbaren Krankheiten ein. Auch dieses behält
eine spezielle Regelung durch eine Anweisung vor, überläßt aber die
Anwendung der Schutzmaßregeln im einzelnen dem pflichtmäßigen Er-
messen der Polizeibehörde und des beamteten Arztes.
Anders hat das preußische Gesetz die Materie geregelt, indem es
bestimmt aussprach, welche Schutzmaßregeln bei jeder Krankheit als
zulässiges Höchstmaß äußersten Falles angeordnet werden dürfen. Der
Zweck dieser Vorschrift war, eine unnütze Belästigung der Bevölkerung
durch übereifrige Polizeibehörden und Kreisärzte zu verhüten. In der
Begründung zu S$S 8. P.G. heißt es darüber:
„Die Maßregeln, welche der vorliegende Gesetzentwurf gegenüber
al
Kirchner, Seuchenbekämpfung. ‘