Full text: Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens.

— XIII — 
Wachsen und Absterben erforscht. Dabei zeigte sich, daß die Wege 
seiner Verbreitung und die erfolgreichen Mittel zu seiner Bekämpfung 
von dem, was in den Seuchengesetzen stand, wesentlich abweichen. 
Das hatte zur Folge, daß kundige und einsichtige Medizinalbeamte 
aus sich heraus von Fall zu Fall Vorschläge zur Bekämpfung der 
Seuchen machten, daß aber bei der Mehrzahl der Beamten die ge- 
setzlichen Bestimmungen je länger desto weniger Beachtung fanden, 
so daß von einer zielbewußten Seuchenbekämpfung kaum noch die 
Rede war. 
Diese Schwierigkeiten zu erhöhen, trug die politische Umgestaltung 
und die Wiedergeburt des Deutschen Reiches nicht unwesentlich bei. 
Die großen Volkskrankheiten, namentlich die Cholera, die seit ihrem 
ersten Auftreten in Deutschland im Jahre 1831 in regelmäßigen 
Zwischenräumen von fast genau 10 Jahren immer wieder erschien, 
kehrten sich an die Grenzpfähle der einzelnen Bundesstaaten nicht. 
Ihre Bekämpfung wurde durch die Verschiedenartigkeit der Seuchen- 
gesetzgebung in den einzelnen Bundesstaaten in hohem Grade erschwert, 
und je länger desto dringender erschien der Erlaß eines einheitlichen 
Seuchengesetzes für das Deutsche Reich erforderlich. 
Den ersten Schritt zu diesem Ziele hin zeitigte die große Pocken- 
epidemie von 1871/72, der allein in Preußen über 120 000 Menschen 
zum Opfer gefallen waren. Sie gab den Anstoß zum Erlaß des 
deutschen Impfgesetzes vom 8. April 1874, welches sich in ausge- 
zeichneter Weise bewährt und zur Folge gehabt hat, daß die Pocken, 
obwohl sie in jedem Jahre von Ost und West durch Saisonarbeiter 
und Reisende in zahlreichen Fällen eingeschleppt werden, in Deutsch- 
land nirgends mehr Fuß zu fassen vermögen. 
Aber zu der Ausarbeitung eines umfassenden Seuchengesetzes 
kam es vorläufig noch nicht. Hierzu sollte wieder, wie in den 
dreißiger Jahren, die Cholera den Anstoß geben. 
Die traurigen Verheerungen, welche die Cholera im Jahre 1892 
in Hamburg anrichtete, stehen noch in frischer Erinnerung. Ebenso 
unvergessen ist aber der erfolgreiche Feldzug, welchen die preußische 
Medizinalverwaltung unter treuer Mithilfe des Reiches in den Jahren 
1892/94 gegen die Seuche führte. Obwohl die Krankheit in mehr als 
300 preußischen Orten eingeschleppt wurde, erkrankten (starben) in den 
drei Jahren in ganz Preußen nicht mehr als 3197 (1633) Personen, bei- 
spiellos wenig im Vergleich zu den Opfern, welche früher die 
Cholera gefordert hatte. 
Der Erfolg dieses Feldzuges war bekanntlich das Verdienst von 
Robert Koch, welcher nicht nur den Choleravibrio entdeckt, sondern 
auch auf die genaue Kenntnis seiner Lebensbedingungen gegründete 
Bekämpfungsmaßregeln angegeben hatte. Jetzt sah man, was ein auf 
rationeller Basis begründetes Vorgehen gegen eine Seuche vermag,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.