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unter den Ratten eingenistet hat, welche in den zum Teil sehr kümmer-
lichen Wohnungen der Hindus in unglaublichen Mengen vorkommen.
Wie die Pest von Ratten auf Menschen übertragen wird, darüber
sind die Ansichten geteilt. Die von Calmette und anderen Forschern
vertretene Anschauung, daß hierbei die Flöhe der Ratten eine Rolle
spielen, ist Bedenken begegnet. Es ist durch Versuche festgestellt, daß
von den Rattenflöhen, von denen wir etwa fünf verschiedene Arten kennen,
die Mehrzahl auf Menschen nicht übergeht. Auch kommt weiter in Be-
tracht, daß man auf Schiffen, welche europäische Häfen anliefen, wieder-
holt zahlreiche Pestratten gefunden hat, olıne daß einer von der Be-
satzung an Pest erkrankt wäre. Man muß ferner berücksichtigen, daß
keineswegs in allen, ja nicht einmal in der Mehrzahl der Fälle die
Pesterreger im Blutstrom sich finden, sondern daß dies nur im End-
stadium der Krankheit, bei der sogenannten Pestseptikämie, der Fall
ist. Blutsaugende Insekten würden daher nur ausnahmsweise im
stande sein, die Pest von einem Pestkranken auf Gesunde zu über-
tragen, weil das Blut die Bakterien nicht enthält. Näher läge es,
anzunehmen, daß der Mensch die Krankheitskeime in der Weise in
sich aufnimmt, daß er Staub und Schmutz, welcher mit zertretenem
und verstäubtem Rattenkot vermischt ist, an die Hände und Füße und
in etwaige an denselben befindliche Verletzungen bringt. In der Mehr-
zahl der Fälle tritt die Pest als sogenannte Beulenpest, d.h. als eine
zunächst lokale Erkrankung der Lymphdrüsen am Nacken, in der
Achselhöhle oder in der Leistenbeuge auf. Die Erfahrung spricht be-
kanntlich dafür, daß derartige Erkrankungen des Iymphatischen Apparates
infolge des Eindringens von Krankheitserregern in kleine Verletzungen
entstehen, welche sich an demjenigen Teile der Haut befinden, von
welchem die zu den betreffenden Drüsen gehenden Lymphgefäße ihren
Ursprung nehmen. Die Lungenpest kann durch die Aufnahme der
Krankheitskeime durch die Einatmung von Staub erklärt werden,
während sie allerdings am häufigsten dadurch entsteht, daß ein Ge-
sunder in der Umgebung eines Pestkranken die von diesem beim
Husten, Niesen, Sprechen und Räuspern verbreiteten feinen Schleim-
tröpfchen einatmet. Neuerdings wird jedoch mit Nachdruck behauptet,
daß ein bestimmter Rattenfloh, der Pulex Oheopis, welcher auf
Menschen geht, die Pest auf diese überträgt. Ob diese Ansicht richtig
ist, müssen weitere Versuche ergeben.
Jedenfalls kommt alles darauf an, die pestkranken Ratten und
Mäuse aufzufinden und zu vernichten.
Als man die Bedeutung der Ratten für die Verbreitung der Pest
erkannte, glaubte man einen Vernichtungskrieg gegen die Ratten er-
öffnen zu müssen. Namentlich hielt man dies in Hafenorten für nötig,
damit eine etwaige Einschleppung von Pestratten eine Verbreitung
der Seuche im Hafen unmöglich machte.