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Findet die Behandlung in einer öffentlichen Sprechstunde statt, so können
die Kranken angehalten werden, sich an bestimmten Orten zu bestimmten
Tagen und Stunden zur Untersuchung und Behandlung einzufinden.
S 7 Abs. 1 Br.G. (wörtlich gleichlautend wie $S 9 Abs. 1 Pr.G.).
Durch S 9 Abs. 1 wird den Behörden das Recht verliehen, Per-
sonen, welche an Körnerkrankheit leiden und nicht glaubhaft nach-
weisen können, daß sie sich in ärztlicher Behandlung befinden, zu
einer solchen zwangsweise anzuhalten. Der Grund hierfür liegt in
dem Umstande, daß die Beschwerden und Schmerzen, welche die
Körnerkrankheit erzeugt, verhältnismäßig gering sind, und daß infolge-
dessen die Kranken im allgemeinen wenig Neigung verspüren, sich in
die mit Opfern an Zeit und Geld verbundene Behandlung eines Arztes
zu begeben. Nach der übereinstimmenden Auffassung der Behörden
und Ärzte in den von der Körnerkrankheit hauptsächlich heimgesuchten
Bezirken ist jedoch die Ausrottung dieser Seuche nicht möglich, wenn
nicht die Erkrankten, soweit sie hierzu nicht sich selbst entschließen,
von Amts wegen angehalten werden, sich behandeln zu lassen. Es
genügt aber nicht, überhaupt eine Behandlung eintreten zu lassen,
sondern es wird ausdrücklich eine ärztliche Behandlung verlangt, weil
der eigenartige Oharakter der Körnerkrankheit es mit sich bringt, daß
nur durch eine wohldurchdachte Behandlungsweise, wie sie ein Kur-
pfuscher nicht auszuüben vermag, eine Heilung zu erreichen ist.
In den allgemeinen Ausführungsbestimmungen zu $ 9 wird näher
erläutert, in welcher Weise der Behandlungszwang durchgeführt
werden soll.
In Abs. 1 wird zunächst bestimmt, daß die zwangsweise An-
haltung zur ärztlichen Behandlung nur in Orten und in Bezirken ge-
schehen soll, in welchen eine planmälige Bekämpfung der Körner-
krankheit stattfindet. Bekanntlich ist die Körnerkrankheit hauptsächlich
im Osten der Monarchie in den Provinzen Ost- und Westpreußen, Posen
und Teilen der östlichen Bezirke von Pommern, Brandenburg und
Niederschlesien verbreitet; außerdem kommt sie im Ruhrkoblenrevier,
auf dem Eichsfelde und in einigen Teilen der Rheinprovinz in größerer
Verbreitung vor. Eine planmäfige Bekämpfung der Körnerkrankheit,
unter Aufwendung erheblicher Staats- und Kommunalmittel, findet
seit dem Jahre 1897 in der Provinz Ostpreußen statt und hat bereits
zu einer merklichen Einschränkung der Krankheit, sowohl nach der
Zahl als nach der Schwere der Erkrankungen, geführt. Es wird ın
nächster Zeit dazu übergegangen werden müssen, auch in den anderen
Provinzen, namentlich in der Provinz Posen, in ähnlicher Weise vor-
zugehen. Außerhalb des Bereichs dieser Bekämpfung Personen, welche
an der Körnerkrankheit leiden, zwangsweise der ärztlichen Behand-
lung zuzuführen, schien über das Bedürfnis hinauszugehen, weil sich
merkwürdigerweise gezeigt hat, daß, wenigstens nach den bisherigen