— 19 — Wiesbaden und die Stadt Trier mit der Einführung der An-
zeigepflicht für Erkrankungen und Todesfälle an Lungentuberkulose
nach. In Norwegen wurde im Jahre 1899 ein Tuberkulosegesetz
erlassen, welches sich auf alle Formen der Tuberkulose bezieht und
die Anzeigepflicht sowie die Absonderung bei Lungentuberkulose vor-
sieht. Sehr energisch ging man in mehreren größeren Städten Nord-
amerikas, in Newyork, Boston usw., vor. Weitgehende Be-
stimmungen wurden dann in Sachsen und Baden eingeführt; in
beiden Ländern wurde die Anzeigepflicht bei vorgeschrittenen Er-
krankungen und bei Todesfällen an Lungen- und Kehlkopftuberkulose,
und zwar auch beim Wohnungswechsel, vorgeschrieben.
Diesen Standpunkt nahm auch der Entwurf des preußischen
Seuchengesetzes ein, indem er eine Anzeigepflicht für vorgeschrittene
Erkrankungen an Lungen- und Kehlkopftuberkulose, und zwar auch
beim Wohnungswechsel, vorsah. Bei den parlamentarischen Verhand-
lungen gelang es nicht, die Zustimmung des Landtages zu diesen Be-
stimmungen zu erlangen. Man hob hervor, wie schwer es wäre, zu
definieren, was unter einer „vorgeschrittenen“ Erkrankung an Lungen-
tuberkulose zu verstehen wäre; man befürchtete, daß es an der Hand
dieses Begriffes unmöglich sein würde, Personen, welche sich der An-
zeigepflicht entzögen, zur Bestrafung zu bringen: man meinte, daß
diese wenig präzise Bestimmung zu Belästigungen der Bevölkerung
führen würde; man äußerte endlich die Besorgnis, infolge der An-
zeigepflicht beim Wohnungswechsel würden Schwindsüchtige über-
haupt keine Wohnung finden, weil die Hauswirte jeden Katarrh als
Lungentuberkulose ansehen und den Mietern Schwierigkeiten machen
würden. Hinweise darauf, daß Bestimmungen in anderen Staaten sich
eingelebt und nicht zu Schwierigkeiten geführt hätten, hatten keinen
Erfolg; es wurde schließlich die Anzeigepflicht nur bei Todesfällen an
Lungen- und Kehlkopftuberkulose in das Gesetz aufgenommen.
Daß diese Anzeigepflicht keine wirksame Einschränkung dieser
furchtbaren Volkskrankheit ermöglicht, darüber besteht unter den
Sachverständigen kein Zweifel. Da der Tote nur noch eine geringe
Gefahr für seine Umgebung darstellt, so hat die Anzeige eines Todes-
falles an Lungentuberkulose nur insofern Wert, als sie ermöglicht, auf
die Durchführung der Desinfektion der Wohnung und der Effekten
des Verstorbenen zu dringen und die Benutzung der Wäsche und
Kleidungsstücke an Lungenschwindsucht verstorbener Personen in un-
desinfiziertem Zustande zu verhindern. Damit ist jedoch nur der
kleinste Teil der Gefahren, welche die Lungentuberkulose darstellt,
beseitigt. Wenn man erwägt, wie lange eine Erkrankung an Schwind-
sucht dauert, mit wieviel Menschen ein Tuberkulöser während seines
langen Leidens in Berührung kommt, wie viele Wohnungen er während
dieser Zeit infizieren kann, so kann man es nur auf das schmerzlichste
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