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meidung einer Beunruhigung des Kranken durch eine vorschnelle
Typhusdiagnose, von ‚gastrischem Fieber‘ zu sprechen oder der
Krankheit gar keinen Namen zu geben. Dies wäre unbedenklich,
wenn sie die Krankheit trotzdem als Typhus behandelten und von
vornherein durch Absonderung des Kranken und Desinfektion seiner
Wäsche und Ausleerungen einer Weiterverbreitung der Krankheit ent-
gegentreten würden. Dies wird jedoch meistens unterlassen.
„Die vorstehenden Erwägungen enthalten eine ausreichende Recht-
fertigung für die Einführung der Anzeigepflicht auch für solche Er-
krankungen, welche nur den Verdacht des Typhus erwecken. Die
Anzeige versetzt die Behörden in die Lage, mit Hilfe der beamteten
Ärzte sofort die erforderlichen Maßregeln anzuordnen und dadurch
manche Epidemie zu verhüten, welche bei der gegenwärtigen Lage
der Verhältnisse unvermeidlich ist.
„Eine noch größere Bedeutung hat die Anzeigepflicht für ver-
dächtige Fälle von Rotz, weil diese Krankheit besonders bösartig
und ansteckend und ihre sichere Erkennung mit den größten Schwie-
rigkeiten verbunden ist, so daß bei dem langwierigen Verlauf der Er-
krankung schon vor ihrer sicheren Feststellung zahlreiche Übertra-
gungen stattfinden können.
„Das Rückfallfieber ist mit Hilfe des Mikroskops leicht zu
diagnostizieren, ohne dieses aber erst erkennbar, wenn der erste An-
fall der Krankheit vorüber und ein zweiter erfolgt ist, was einen Zeit-
raum von 8 bis 14 Tagen erfordern kann. Wird nicht auch der Ver-
dacht der Krankheit anzeigepllichtig gemacht, so entzieht sich der
Fall der Kenntnis der Behörden, oder diese erfahren erst zu einem
Zeitpunkte davon, nachdem schon vielleicht zahlreiche Übertragungen
der Krankheit stattgefunden haben. Bei der Meldung auch des Krank-
heitsverdachts dagegen ist der beamtete Arzt in der Lage, durch un-
verzügliche Vornahme einer mikroskopischen Untersuchung des Blutes
die Krankheit rechtzeitig als solche festzustellen und die erforderlichen
Schutzmafßregeln in die Wege zu leiten.
„Der Umstand, daß auch das Kindbettfieber in der ersten
Zeit der Erkrankung als solches häufig schwer erkennbar ist, läßt es
als geboten erscheinen, auch Erkrankungen, welche den Verdacht dieser
Krankheit erwecken, anzeigepflichtig zu machen, um rechtzeitig die
Handhabe zu einer sicheren und wirksamen Bekämpfung dieser für
die gebärenden Frauen verhängnisvollen Krankheit zu gewinnen.“
Sehr bemerkenswert sind die nachstehenden Ausführungen
Schmeddings hierzu:
„Überzeugt von der Richtigkeit und Wichtigkeit dieser Gründe,
hat denn auch das Haus der Abgeordneten, dem Gesetzentwurfe
folgend, die genannten Verdachtsfälle in die Anzeigepflicht einbeziehen
wollen und den bezüglichen Bestimmungen seine Zustimmung erteilt
(Stenogr. Bericht d. H. d. A. für 1905, S. 12642ff.). Leider hat das
Herrenhaus einen anderen Standpunkt eingenommen und die Anzeige-
pflicht bei Verdachtsfällen gänzlich gestrichen (Stenogr. Bericht d.
H. H., 8. 931ff.), und zwar hauptsächlich deshalb, weil sich zu wenig