Full text: Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens.

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heiten auch in solchen Fällen zu veranlassen, in welchen die Anzeige 
aus Absicht oder Unkenntnis nicht rechtzeitig oder gar nicht erfolgt. 
Es darf angenommen werden, daß derartige Fälle nur ausnahmsweise 
vorkommen, und daß die Anzeige die Regel bildet. 
Für diejenigen Fälle, welche regelrecht angezeigt werden, be- 
stimmen die allgemeinen Ausführungsbestimmungen zum P.G.: „Die 
Polizeibehörden haben von den ihnen auf Grund des § 1 zugehenden 
Anzeigen jedesmal ungesäumt unter Übersendung der betreffenden 
Kartenbriefe in Ur- oder Abschrift dem beamteten Arzt Mitteilung zu 
machen.“ 
Hier ist zu fragen, was unter „ungesäumt“ zu verstehen ist. 
Dieser Zeitbegriff findet sich sonst im Gesetze nicht. An seiner Stelle 
wird sonst das Wort „unverzüglich“ gebraucht, und aus mehreren Be- 
stimmungen des Gesetzes geht hervor, daß dieses gleichbedeutend ist mit 
„längstens in 24 Stunden“. Nach § 1 R.G. ist jede Erkrankung u. s. w. 
unverzüglich anzuzeigen, nach § 45, 1 wird bestraft, wer die Anzeige 
unterläßt oder länger als 24 Stunden verzögert; nach § 1 P.G. ist 
jede Erkrankung u. s. w. binnen 24 Stunden nach erlangter Kenntnis 
anzuzeigen. Daraus geht also hervor, daß „unverzüglich“ gleichbe- 
deutend ist mit „längstens in 24 Stunden“. „Ungesäumt“ soll aber 
offenbar ein stärkerer Begriff sein als „unverzüglich“. Denn es wäre 
unter Umständen höchst bedenklich, ja verhängnisvoll, wenn die Polizei- 
behörde nach Empfang einer Anzeige eines Falles z. B. von Cholera 
oder Pest mit der Benachrichtigung des beamteten Arztes bis zu 24 
Stunden zögern wollte. 
Es muß im Interesse der prompten Einleitung der Seuchenbekäm- 
pfung von der Polizeibehörde verlangt werden, daß sie die ihr zu- 
gehenden Anzeigen von übertragbaren Krankheiten tunlichst sofort 
nach Eingang, spätestens aber noch vor Sonnenuntergang an den 
beamteten Arzt weitergibt. Zulässig ist dabei nur der Zeitverlust, 
welcher entsteht durch die Abschrift des Kartenbriefes und die Ein- 
tragung seines Inhaltes in die von der Ortspolizeibehörde zu führende 
Liste. Obwohl eine Bestimmung darüber, bis wann spätestens die 
Mitteilung der Anzeige an den beamteten Arzt zu erfolgen hat, weder 
im Gesetz noch in den Ausführungsbestimmungen enthalten ist, wird 
die tunlichste Beschleunigung dieser Mitteilung im Aufsichtswege nach- 
drücklichst zu fordern und strengstens zu überwachen sein. Je später 
der beamtete Arzt die Mitteilung erhält, um so größer ist die Zeit, 
welche bis zum Beginn der amtsärztlichen Ermittelung verstreicht, 
um so größer daher auch die Gefahr, daß inzwischen die Krankheit 
weiter um sich greift. 
Es ist in den Ausführungsbestimmungen nicht ausdrücklich ge- 
sagt, versteht sich aber von selbst, daß die Polizeibehörde bei Krank-
	        
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