88 Die militärische Lage Europas
besitzt, auch unglückliche Lagen in freundlichem Lichte sehen und standhaft
ertragen. Die Grenadiere Napoleons folgten ihrem Abgott, als längst alles
verloren war, sie murrten, aber gehorchten, und schlugen sich von Marengo
bis Waterloo auf allen Schlachtfeldern Europas mit hingebender Capferkeit
und voll kriegerischen Stolzes. Auch die Rekrutenarmeen, die 1813 ins Feld
gestellt wurden, kämpften tapfer und treu bis zum bitteren Ende.
Das Schicksal halte Frankreich für den europäischen Krieg einen
Führer aufgespart, dem der Soldat von Anfang an Bertrauen entgegen-
brachte. General Joffre, ein vorsichtiger, in der BVerteidigung glücklicher
Führer, hat dieses Vertrauen verdient und gerechtfertigt.
War das französische Heer im Widerspruch zu seiner lockeren Ourch-
bildung, auf Grund seiner Vorschriften und Leitsätze wie des Feldzugsplanes
zur Angriffsbewegung großen Stils bestimmt, so kam ihm dabei die Bereit.
schaft seiner Deckungstruppen vorzüglich zustatten. Tatsächlich waren die
Ostkorps, vor allem das II., VI., XX., KKXl. und VII. Armeekorps, vollständig
kriegsbereit, die Festungen der Mosel- und Maaslinie reichlich mit Vorräten
versehen und gul im Stande und noch in den leten Jahren durch zahlreiche
Verbesserungen und Neuanlagen in den WVorfeldern von Belfort, Toul
und Verdun verstärkt worden. Insbesondere hatte man durch sorgfältige
Aufnahmen des Geländes, durch Bezeichnungen von Schußentfernungen
und die Einrichtung von Batterieständen und unterirdischen Fernsprech-
anlagen die VBerteidigung der Festungslinie bis ins einzelne vorbereitet.
Die Zugänge zu den waldreichen Vogesen, die sich von Westen nach Osten
in zahlreichen Erhebungen gemach zur geschlossenen Kammlinie aufbauen,
im Osten aber nach der Enefaltung zahlreicher Gipfelungen und einzelner
Kuppen steil abseürzen, waren durch Kunststraßen gesichert und die auf der
Grenzscheide liegenden Dässe so leicht erreichbar, daß sie dem Gegner ohne
Kampf abgewonnen werden konnten.
Die französische Kriegsbereitschaft erstreckte sich allerdings nicht auf die
ganze Armee. Die Gliederung der Landwehrtruppen ließ zu wünschen übrig,
und Mängel in der Organisation machten sich schon bei der Einberufung der
Reserven fühlbar. Die Feldartillerie war vorzüglich, eine brauchbare, den
deutschen Haubitzen gewachsene schwere Artillerie mußte erst im Laufe des
Feldzuges geschaffen werden. Als grobe Unterlassung trak die Tatsache
hervor, daß eine eigentliche Felduniform vollständig fehlte. Die Truppe
rückte in ihrem bunten Waffenkleid aus und bot mit dem leuchtenden Rot und
Blau weithin sichtbare Ziele, während das deutsche Feldgrau den Mann
fast unsichtbar machte. Mit der dem Volke eigenen Anpassungsfähigkeit
fand man sich aber rasch in die Kriegsumstände und suchte aus dem Stegreif
und durch sieberhaftes Schaffen zu ersetzen, was versäumt worden war.
Besonders war das auf technischem Gebiet und in der Verwundetenpflege
nötig, wo die Mängel sich am auffälligsten zeigten.