DIE PERSÖNLICHEN WÜNSCHE VON S.M. 353
Während ich diese an Unbesonnenheit und Taktlosigkeit kaum zu über-
bietenden Auslassungen las, stieg in mir plötzlich der Verdacht auf, daß ich
den Artikel vor mir hätte, den mir vor einiger Zeit Herr von Jenisch im
Auftrage Seiner Majestät aus Rominten übersandt und den ich nicht selbst
gelesen hatte. Ich ließ den Legationsrat Klehmet zu mir bitten, der als zu-
ständiger Referent das in Rede stehende Manuskript zu prüfen gehabt hatte.
Als er das Wolff-Telegramm vor sich sah, meinte er zögernd und mit sicht-
licher Verlegenheit, daß es sich in der Tat um den von Rominten nach
Norderney geschickten und von dort an das Auswärtige Amt zur Prüfung
ibersandten Zeitungsartikel handle. Als ich weiter frug, wie er diese un-
glaublichen Äußerungen habe durchlassen können, meinte Klehmet, er
habe den entschiedenen und bestimmten Eindruck gehabt, daß Seine
Majestät der Kaiser die Veröffentlichung des Artikels und gerade der jetzt
von mir beanstandeten Kraftstellen persönlich lebhaft wünsche. Ich habe,
als ich mit dem Diktieren meiner Erinnerungen begann, mir gesagt, daß
ich das, was ich schreibe, gewissermaßen unter meinen Eid stellen wolle.
Wie man vor Gericht schwöre, die volle Wahrheit zu sagen, also nichts hin-
zuzufügen und nichts Wesentliches zu verschweigen, so wollte ich in meinen
Denkwürdigkeiten auch das sagen, was mir persönlich peinlich oder schmerz-
lich wäre, begangene Fehler eingestehen und selbst Worte wiederholen,
die gesprochen zu haben ich nachträglich bedaure. So will ich denn nicht
verschweigen, daß, als der Wirkliche Legationsrat Klehmet sich in dieser
Weise zu rechtfertigen suchte, ich ihm in der ersten Erregung antwortete:
„Haben Sie noch nicht erfaßt, daß die persönlichen Wünsche Seiner Maje-
stät bisweilen Narreteien sind ?“ Mit gutem Gewissen kann ich hinzufügen,
daß dies das einzige Mal in meinem dienstlichen Leben war, wo ich leider die
Haltung verlor. Ich ließ nun den Chef der Reichskanzlei, Herrn von Loebell,
und den Pressechef Hammann kommen, um ihnen die Sachlage zu ex-
plizieren. Es gelte jetzt, nicht den Kopf zu verlieren. Ich gab zwei Richt-
linien aus: einerseits über den ganzen Vorfall die volle Wahrheit zu sagen,
einerlei ob ich und das Amt dadurch bloßgestellt würden, andererseits und
vor allem die Krone außerhalb des Meinungsstreits zu halten. Es stellte sich
bei diesem Anlaß heraus, daß das Manuskript im Auswärtigen Amt von
dem Staatssekretär von Schön, dem Unterstaatssekretär Stemrich und
dem Referenten Klehmet gelesen worden war. Die beiden ersteren hatten den
Bericht von Klehmet, daß das Manuskript nichts Bedenkliches enthielte,
eigenhändig paraphiert.
Ich diktierte hierauf den nachstehenden Immediatbericht an Seine
Majestät: „Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestät überreiche ich in
der Anlage eine Reihe von Zeitungsartikeln über das Interview, das der
Oberst Stewart Wortley über eine mit Eurer Majestät geführte Unter-
23 Bulow II
Der
Legationsrat
Klehmet
Immediat-
bericht an den
Kaiser